18 Oktober 2007

Artikel in der Linkszeitung

Für Schulspeisungen fehlt das Geld in Nicaragua PDF Drucken E-Mail
Dienstag, 9. Oktober 2007
Ohne Essen geht
das Lernen nicht


Von unserem Korrespondenten Timm B. Schützhofer


nicaragua_schulessen01
Mittagessen in einer nicaragua-
nischen Schule.
Foto:
Tagesschule Bungertwies
Managua (LiZ). Wie Nicaraguas Bildungsminister Miguel de Castilla bekannt gab, fehlen weiterhin 2,9 Millionen US-Dollar für ein landesweites Schulspeisungs- programm. Der Minister erklärte, dass bereits eingeplante Mittel nun für Reparaturen an den durch den Hurrikan Felix zerstörten Schulen an der Atlantikküste eingesetzt wurden. Der Minister selbst ist sich der Konsequenzen bewusst: „Die Ernährung in den Schulen zu unterlassen, würde das Schulsystem aushöhlen, denn eine große Zahl von Kindern auf dem Land und sogar in Managua gehen in erster Linie zur Schule um zu essen und erst in zweiter Linie zum Lernen; dieses Land ist sehr traurig.“

Ob Geld für die Schulspeisungen vorhanden ist, ist nach Ansicht des Ökonomen Adolfo Acevedo Vogl von der globalisierungskritischen Bewegung Coordinadora Civil eine Frage der Prioritäten. Die Devisenreserven der nicaraguanischen Zentralbank betragen inzwischen 1034 Millionen US-Dollar. Um die Schulspeisungen zu finanzieren, bräuchte man demzufolge lediglich 0,28 Prozent der Devisenreserven - eine kaum spürbare Senkung für ein elementares Programm zum Wohl tausender Kinder.

Im Parlament kommt derweil Bewegung in die Frage der Finanzierung. Nachdem es bisher nach einer Ablehnung des Regierungsvorschlags zur Erhöhung der Tabak- und Alkoholsteuer ausgesehen hatte, um damit das Ernährungsprogramm zu finanzieren, überdenken nun die liberal- konservativen Fraktionen von PLC und ALN-PC ihre Position. Zuor hatten sie den Vorschlag der sandinistischen Regierung wohl vor allem deshalb abgelehnt, weil Carlos Pellas gegen die Steuererhöhungen protestiert hatte. Carlos Pellas ist der reichste Nicaraguaner und der größte Produzent alkoholischer Getränke des Landes.

07 August 2007

Artikel in NRhZ


Globales
Rückblick auf ein Jahr als Kriegsdienstverweigerer in Zentralamerika
Zurück aus Nicaragua
Von Timm B. Schützhofer

Als Kriegsdienstverweigerer hat Timm B. Schützhofer ein Jahr lang seinen „Anderen Dienst im Ausland“ (ADiA) in Nicaragua gemacht. Nun ist er wieder zurück in Offenbach und wird in den folgenden NRhZ-Ausgaben in loser Folge berichten, was er während dieses „anderen Zivildiensts“ in Zentralamerika erlebt hat. (Siehe auch NRhZ 91 und 92) – Die Redaktion.

Immer ein Teil meines Lebens

Mit Nicaragua war ich schon seit meiner frühesten Kindheit eng verbunden. Mein Vater baute im Sommer1986 als Mitbegründer von „Para Nicaragua“ mit einer Schülerbrigade eine Vorschule in dem Dorf Belén bei Rivas, im Süden des Landes. Danach hieß es jahrelang: Container schicken, einen Weihnachtsmarktstand betreuen, Bananen verkaufen und Nicaragua-Kaffee trinken. Nicaragua war immer ein Teil meines Lebens – die von Daniel Ortega unterschriebene Urkunde meines Vaters hängt im Arbeitszimmer meiner Eltern und die rot-schwarze Sandino-Uhr in der Küche.

2001/02 machte mein Bruder Nico seinen „Anderen Dienst im Ausland“ im nicaraguanischen Granada, und auch ich entschied mich, meinen ADiA in Nicaragua zu leisten. Am 5. Juli 2006 kam ich auf dem Augusto Cesar Sandino-Flughafen in Managua an. Ein paar Wochen später änderte der neoliberale Präsident Enrique Bolaños den Namen, doch nach dem Wahlsieg der Sandinisten erhielt der Flughafen wieder seinen alten Namen: „Nicaragua Libre“ steht für alle deutlich zu sehen über dem Eingang.


Timm Schützenhofer mit Raùl Timm (re.)

Jedes Jahr zur großen Revolutionsfeier


Nach 16 Jahren neoliberaler Regierungen ist Daniel Ortega wieder an die Macht gekommen. Als ich jetzt beim Abflug den alten neuen Schriftzug auf dem Flughafen las, erinnerte ich mich an den 19. Juli, den Tag der Revolution. Damals – noch neu in Nicaragua – fuhr ich zusammen mit Don Raúl und seiner Familie in einem völlig überfüllten Bus zur großen Revolutionsfeier nach Managua. Hunderttausende waren versammelt, ein Fahnenmeer und in den Himmel gestreckte Fäuste, als die Hymne der FSLN aus den Lautsprechern schallte.

Für Don Raúl ist es eine schöne Pflicht, jedes Jahr die Revolution zu feiern. Zuhause in Rivas wohnt er mit seiner Familie im Barrio Christo Rey, einem ärmeren Viertel. Der Fußboden seines Häuschens besteht aus Erdboden, Hühner laufen im Hof herum. Vor den Wahlen war die Kutsche, mit der er seinen Lebensunterhalt verdient, mit sandinistischer Wahlwerbung beklebt. Seit Jahren arbeitet er schon mit dem „Para Nicaragua e.V.“ zusammen. Geld möchte er dafür nicht. „Der Revolutionär arbeitet nicht für Geld, er arbeitet, damit es den Menschen besser geht!“, erklärt er und kritisiert damit die Korruption in der eigenen Partei. Dennoch sei die FSLN immer noch die Partei, die sich für die Armen einsetze.

Vor dem blass gestrichenen Haus verkauft seine Frau Doña Tina Fruchtsäfte, die ganze Familie sitzt auf Plastikstühlen und der vierjährige Enkel Eddito grinst mich an. Sein großer Bruder spielt gerade Fußball. Über dem Haus hängt die rot-schwarze Fahne der FSLN. Auch Eddito weiß schon, wer Daniel Ortega ist. Als ich ihn frage, wer die Wahlen gewonnen hat, grinst er über beide Ohren und ruft: „Danel Otega!“ Sein älterer Bruder, Luis, war schon Fahnen schwenkend auf mich zugekommen, um mich zu fragen: „Weißt du schon, dass wir gewonnen haben?“



Kinderarmut in la Chocolata

„La Chocolata Express“

Die Erinnerungen an Nicaragua sind bunt, farbenfroh, grau, voller Kontraste, Gerüche, Unruhe: „Taxi, Chele, San Juan, San Juan Chele“, rufen mir die Taxifahrer jedesmal entgegen, wenn ich beim Markt an ihrem Taxistand vorbeigehe. Gleich in der Nähe stehen die Busse, meist ausgemusterte amerikanische Schulbusse. Die Musikanlage ist in der Regel das einzig Neue an diesen Bussen. Aus den Lautsprechern dröhnen alte „Rancheros“. Darin geht es um Liebe, Leidenschaft, Betrug und Schmerz. Die Busse sind „unkaputtbar“, wie gemacht für die Straßen in Nicaragua. Mit dem „La Chocolata Express“ gelangt man in den gleichnamigen ländlichen Vorort von Rivas. Ein angeklebter Mercedesstern kann die Rustikalität des Busses nicht verbergen. Er ist ein Kind der 50er Jahre und läuft und läuft und läuft.

„Welche Freude Sie zu sehen“, begrüßt mich Don Ponziano, ein älterer Herr, der „Para Nicaragua“ einmal ein Stück Land für den Bau eines Kinderspielplatzes geschenkt hat. Für „PaNic“ und dessen Gemüseanbauprojekt, von dem einmal 22 Familien leben werden, arbeite ich, seitdem ich im Lande bin. Don Ponziano lebt in einfachen Verhältnissen, seine Frau ist schon vor langer Zeit verstorben. Als Mitglied in verschiedenen Komitees tut er für seine Gemeinde, was er kann. Er erkundigt sich nach Don Raúl, der zusammen mit einem ehemaligen ADiA-Leistenden und seinem Neffen die Spielgeräte aufgestellt hat.


Gerhard Ponziano unterstützt "Para Nicaragua"
Alle Fotos: Timm B. Schützenhofer


„Die Leute sind Banditen“, meint Don Raúl, als ich ihn später wieder treffe, denn „kaum einer ist zum Helfen gekommen.“ Ein bisschen hört man bei ihm die Enttäuschung über den verloren gegangenen Zusammenhalt heraus, über den Egoismus, der sich durch den um sich greifenden Neoliberalismus wie ein Krebsgeschwür in Nicaragua ausgebreitet hat. Viele denken inzwischen zuerst an sich selbst, dann an die Familie und an die Nachbarn nur selten. Und doch gibt es viele unglaublich gastfreundliche Menschen. Von den Besuchen bei Begünstigten unseres Gemüseanbauprojekts radelte ich fast immer mit dem Rucksack voller Tomaten, Mangos, Bananen und Paprikas zurück nach Rivas.

Wieder zurück in Deutschland, steht für mich eins fest: Das war auf jeden Fall nicht meine letzte Reise nach Nicaragua: Zurück in ein schönes Land, mit faszinierenden Menschen. (CH)

28 Juli 2007

Lateinamerikanachrichten

Durchwachsener Start für Daniel Ortega

Die nicaraguanische Regierung auf Schlingerkurs
Ein halbes Jahr nach dem erneuten Amtsantritt Ortegas ist noch keine klare Linie in der Regierungsführung zu erkennen. Zwar sind Schule und Gesundheitsversorgung in Nicaragua wieder kostenfrei, doch zugleich ist die Regierung massiven Vorwürfen der Korruption und Machtkonzentration ausgesetzt. Und auch der außenpolitische Kurswechsel stößt in der Bevölkerung auf gemischte Resonanz.

Einige Monate nachdem Daniel Ortega sein Amt als nicaraguanischer Präsident aufgenommen hat, gibt eine ganze Reihe positiver Initiativen. Doch das nicaraguanische Präsidentenpaar schafft sich auch viel Kritik durch eine autoritäre, von Intransparenz geprägte Amtsführung. Man spricht von dem Präsidentenpaar, da Ortegas Ehefrau Rosario Murillo viel Macht und Einfluss in der Regierung hat. Sie ist unter anderem Chefin des Rates für Bürgerbeteiligung und Kommunikation, einer der umstrittenen Räte, die nach Angaben der Regierung zur partizipativen Demokratie führen sollen. KritikerInnen fürchten hingegen, dass die sandinistisch dominierten Räte die Macht des Parlaments einschränken und zu noch mehr Machtkonzentration bei der Parteispitze führen.

Denn während der Präsident weiterhin offiziell den Slogan „El Pueblo Presidente" (Das Volk Präsident) verkündet, konzentriert sich die eigentliche Macht beim Präsidentenehepaar selbst. So müssen beispielsweise die Medienkommunikation der MinisterInnen und sämtliche Reisen durch Rosario Murillo genehmigt werden. Was die Minister darüber denken ist nicht bekannt. Dass bereits fünf Minister in den ersten Monaten entlassen wurden, lässt ebenfalls deutlich werden, dass Abweichungen vom Kurs des Präsidenten nicht geduldet werden. Besonders im Bereich Kultur scheint der Präsident kein gutes Händchen zu haben. Hier wurden bereits zwei Ministerinnen entlassen. Margine Gutieérrez hatte den Präsidenten dafür kritisiert Orginalmanuskripte Ruben Darios an Hugo Chávez verschenkt zu haben. Die danach eingesetzte Emilia Torres wurde inzwischen durch den Maler Luis Morales erzetzt. Es beginne eine neue Arbeitsphase meinte die ehemalige Ministerin und es handele sich nicht um die von den Medien vermutete Tragödie. Auch die Direktorin des Instiduts für ländliche Entwicklung Maria Auxiliadora Briones wurde wegen Unregelmäßigkeiten entlassen. Genaueres ist nicht bekannt. Die ebenfalls entlassene Ministerin für Umwelt und Naturressourcen Amanda Lorío bezeichnete der Präsident als Frau mit guten Absichten. Grund für die Entlassung war, dass in den Räumlichkeiten des Ministeriums Naturheilkunde Untersuchungen durchgeführt wurden, wobei eine Untersuchung zwischen 3,50 Euro und 6,50 Euro kostete. Die erste entlassene Ministein war die Familienministerin Glenda Ramírez Noguera. Der Grund für die Entlassung ist nicht bekannt. Man geht davon aus, dass die Schwägerin Bayardo Arces einem Machtkampf zwischen dem Wirtschaftsberater Ortegas und der First Lady Rosario Murrillo zum Opfer gefallen ist. Fazit: Teils waren gab es verständliche Gründe für die Entlassungen, in anderen Fällen waren es interne Machtkämpfe oder Kritik am Präsidenten, die den Ministerinnen zum Verhängnis wurde. Immer wieder kommt auch die Frage auf, warum bisher nur Frauen von den Entlassungen bedroht sind. Merkwürdig ist auch, dass die Regierung in Sachen Korruption einmal hart durchgreift aber gleichzeitig den wegen Korruption zurückgetretenen Ex-Bürgermeister Granadas zum Botschafter in Honduras macht und Gerrardo Miranda, der tief in illegale Landgeschäfte in Tourismusgebieten verstrickt ist weiterhin Konsul in Costa Rica ist. Der ehemalige Abgeordnete soll einer Investorengruppe angeboten haben gegen die Zahlung von 4 Millionen Dollar Landprobleme der Investoren im Municipio Tola zu lösen. Noch muss gerpüft werden, ob wirklich seine Stimme auf dem vorhandenen Tonband ist. Die Meinungsfreiheit insgesamt ist jedoch nicht bedroht. Man kann nicht sagen, dass die Medien von der FSLN dominiert seien, ganz im Gegenteil: Ortega wird scharf und oft kritisiert. Anhänger der Sandinisten weisen auch darauf hin, dass während der Präsidentschaft Enrique Bolanños ein Regierugnskritischer Radiosender geschlossen wurde, ohne dass es dadurch zu einem großen Aufschrei kam. In erster Linie betrifft der Autoritäre Führungsstil des Präsidenten die eigenen Funktionäre. Die Medien beklagen sich in erster Linie über die Intransparenz der Regierung und den Mangel an Information.

Der Präsident erklärte unterdessen, dass er sich die Macht mit seiner Frau teile. Daniel Ortega sieht dadurch die angekündigte Frauenquote von 50 Prozent erfüllt. Für die Frauenbewegung ist dies nur ein schlechter Scherz zumal Rosario Murillo in keinster Weise demokratisch legitemiert ist.

Für Kritik sorgen jedoch auch noch eine ganze Reihe anderer Entscheidungen: So hat Ortegas Beschluss, das Militär seiner engeren direkten Kontrolle zu unterstellen, zu Spekulationen über diktatorische Absichten des Präsidenten geführt. Und die Entscheidung, die FSLN-Parteizentrale zum neuen Regierungssitz umzufunktionieren, nährt Befürchtungen, dass man es zukünftig mit der Trennung zwischen Staat und Partei nicht allzu genau nimmt.

Die nicaraguanische Justiz gilt sowieso als stark sandinistisch dominiert. Und momentan werden Vorwürfe der Korruption und Günstlingswirtschaft innerhalb der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) immer lauter. Im April dieses Jahres erst setzten FSLN und die liberale PLC des Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán gemeinsam Veränderungen zweier Artikel des Strafgesetzbuches durch. Seitdem wird bei „Geldwäschedelikten" unterscheiden nach solchen, die im Zusammenhang mit Drogenhandel stehen und solchen, die dies nicht tun. In letztem Fall liegt das Strafmaß nur noch zwischen fünf und sieben Jahren. Zwar werden die Anstrengungen der neuen Regierung im Kampf gegen den Drogenhandel gelobt. Die neue sandinistische Polizeichefin Aminta Granera, die noch zum Ende der Amtszeit Enrique Bolaños ins Amt kam, wird für ihr hartes Vorgehen gegen den Drogenschmuggel gelobt, der eindeutig erfolgreich ist. Die benannte Gesetzesänderung hat jedoch offensichtlich einen anderen Hintergrund: Ex-Präsident Arnoldo Alemán wurde wegen Korruption und Geldwäsche zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Dezember liegt dieser Richterspruch fünf Jahre zurück – dann wird es möglich sein, das neue Gesetzt rückwirkend anzuwenden und Alemán kann ganz „legal" freikommen.

Kurswechsel in der Außenpolitik

Während Ortega also innenpolitisch an seinem alten Pakt mit Alemán festhält, hat sich der außenpolitische Kurs des Landes unter der FSLN-Führung stark geändert. Schon einen Tag nach seinem Wahlsieg erklärte Ortega den Beitritt zur ALBA. Eine Reihe von Kooperationsabkommen wurden mit Kuba und Venezuela geschlossen, Venezuela hat bereits mit der Lieferung von kostengünstigem Öl begonnen, neue Energiekraftwerke konnten installiert und somit die Zahl der Stromausfälle stark gesenkt werden. Kuba hilft im Gesundheitssystem und beim Kampf gegen den Analphabetismus. Venezuela versprach den Bau von Raffinerien und einer Aluminiumfabrik. Die Entscheidungen Ortegas in Richtung einer starken Annäherung an Venezuela, Kuba und Bolivien scheinen sich auszuzahlen. Kritik der bürgerlichen Opposition war hierbei zu erwarten; und auch dass man sich bei den USA nicht beliebt machen würde.

Gleichzeitig ist die Frage berechtigt, ob die neue Regierung nicht ohne Grund Befürchtungen über ihren außenpolitischen Kurs geweckt hat: Ausgerechnet der umstrittene iranische Präsident Ahmed Ahmadinejad war einer der ersten Staatsgäste Ortegas. Mitte Juni reiste Ortega selbst in den Iran. In einem Statement bezeichnete der Präsident die lybischen Revolutionsräte als beispielhaft für eine partizipative Demokratie und zu den Feierlichkeiten zum Geburtstag des nicaraguanischen Nationalhelden Augusto Cesar Sandino wurde ausgerechnet der nordkoreanische Botschafter eingeladen.

Kontinuität in vielen Bereichen

Doch obwohl es in manchen Diskursen den Anschein erwecken möchte, die Regierung Ortega ist keine revolutionäre Regierung. In vielen Politikbereichen gibt es Kontinuität zu verzeichnen. So geht der Haushaltsplan dieses Jahres noch auf die Regierung Bolaños zurück und die Regierung wird die bereits ratifizierten Freihandelsabkommen einhalten, darunter auch die DR-CAFTA mit den zentralamerikanischen Staaten, den USA und der dominikanischen Republik. Auch der nationale Entwicklungsplan die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde bereits von der Regierung Bolaños erarbeitet, die Regierung Ortega nahm nur wenige Änderungen an dem neoliberalen Papier vor. Die Inlandsschulden, von denen ein großer Teil auf undurchsichtige Machenschaften bei der Bankenkrise 2000/01 zurückgeht werden erstmal weiter zurückgezahlt, obwohl noch nicht einmal ihre Rechtmäßigkeit geklärt ist. Der Schaden für den Fiskus wird von der Coordinadora Civil auf über 500 Millionen US-Dollar beziffert.

KritikerInnen halten die Kapitalismus- und Imperialismuskritik des Präsidenten unter anderem deshalb für reine Rhetorik. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Coordinadora Civil kritisieren, dass die Regierung hinter geschlossenen Türen mit dem IWF verhandeln will. Dennoch bedeutet bereits die Änderung der Tonlage gegenüber dem IWF ein Schritt in Richtung mehr politische Souveränität Nicaraguas: Innerhalb von fünf Jahren möchte man sich vom IWF befreien. Schon jetzt halten einige Ökonomen wie Adolfo Acevedo Vogl ein IWF- Programm nicht mehr für unbedingt notwendig. Nicaragua hat ein stabiles Finanzsystem, durch die Schuldenerlasse niedrige Auslandsschulden und die Wirtschaft wächst zwischen 4 und 5 Prozent. Doch viele Geberländer, darunter auch Deutschland, die den Haushalt Nicaraguas unterstützen koppeln ihre Hilfe an die Existenz eines Abkommens mit dem IWF.

Die sozialen Akzente Daniel Ortegas

Im Vorfeld der IWF-Verhandlungen machte Daniel Ortega bei einer Rede vor LehrerInnen deutlich, dass sich die neue Regierung ihre Lohnpolitik nicht vom IWF wird vorschreiben lasse. Ziel dieser Bemerkung war es wohl auch, die Gemüter der LehrerInnen zu beruhigen, die wochenlang für höhere Löhne gestreikt hatten, während die Regierung stur geblieben war. Da war es ein für viele Menschen wichtiges Signal, dass der Präsident sein eigenes Gehalt von rund 10.000 US-Dollar auf 3.200 senkte. Und auch einige andere Veränderungen, die gleich nach Amtsantritt von der Regierung durchgesetzt wurden, kommen bei großen Teilen der Bevölkerung gut an: Die öffentliche Bildung ist wieder für alle kostenfrei und auch "freiwillige" Einschulungsgebühren wurden verboten, die Krankenhäuser arbeiten gratis und setzen dabei auf Generika, der Buspreis in Managua wurde von 3 auf 2,50 Córdoba gesenkt.

Bei ihrem Programm „Hambre Cero" (Null Hunger) verfolgt die Regierung eine nicht auf dem Verteilen von Almosen basierende produktive Sozialpolitik, die auch bei der Befreiung von den entwicklungsfeindlichen Zwängen des IWF helfen soll. Zehn Millionen US-Dollar sind im Haushalt für das Programm vorgesehen, bei dem trächtige Kühe, Schweine, Ferkel und Geflügel an besonders arme Bauernfamilien übergeben werden sollen. Mittelfristig will die Regierung dadurch die Lebensmittelimporte und damit das Außenhandelsdefizit erheblich verringern. Bei der Durchführung hofft die Regierung auf die Kooperationsbereitschaft von Nichtregierungsorganisationen (NRO), die bereits in den Gemeinden arbeiten. Der produktive Ansatz wird auch durch die Gründung einer Filiale der venezolanischen Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (Bandes) deutlich, die ab Juni besonders günstige Kleinkredite mit nur zwei Prozent Zinsen an landwirtschaftliche Kooperativen ausgeben wird. Mit ihren 27 Millionen US-Dollar Startkapital ist die Bank aus Venezuela ein viel versprechender Schritt in Richtung des Abbaus ökonomischer Schranken der Eigeninitiative im Agrarsektor. José de Jesús Bermúdez, der bei der Regierung für die Umsetzung der Freihandelsverträge zuständig ist, meint jedoch, dass die Kredite aus Venezuela keineswegs ausreichen, um die landwirtschaftliche Produktion im Land wirklich anzukurbeln. Dazu brauche man eine staatliche Entwicklungsbank.

Abtreibungsverbot bleibt bestehen

Eine progressive linke Politik im Sinne einer Verbesserung der sozialen Lage der armen Bevölkerungsschichten führt Ortega trotz der genannten Initiativen jedoch nicht. Der Pakt mit dem erzkonservativen Kardinal Obando y Bravo besteht weiter und das totale Abtreibungsverbot, dem auch die sandinistischen Abgeordneten im vergangenen Herbst zugestimmt haben, wird nicht – wie im Vorfeld gemunkelt - aufgehoben. Frauenrechtlerinnen sind aufgebracht, dass gerade der „Präsident der Armen" an dem Gesetz festhält, „das arme Frauen dem Tod ausliefert", wie Vertreterinnen des Movimiento Autonomo de Mujeres anklagen. Vor allem sein weiterhin stark religiös geprägter Diskurs lässt misstrauisch werden. So kündigte Ortega in seiner Rede zum 1. Mai an, sich innerhalb von fünf Jahren von „brutalen Kapitalismus" des IWF zu befreien, um direkt im Anschluss daran dafür zu danken, dass die jüngsten Entwicklungen in Lateinamerika in erster Linie ein „großes Wunders Gottes" seien.

Eine klare Bilanz des ersten halben Jahres der neuen nicaraguanischen Regierung lässt sich also nicht wirklich ziehen – bei einer Bestandsaufnahme der bisher von Ortega umgesetzten Maßnahmen zeichnen sich widersprüchliche Schritte in verschiedene Richtungen ab.

29 Mai 2007

Soziale Akzente

Ortega setzt soziale Akzente
Land soll in den nächsten fünf Jahren vom IWF unabhängig werden 
 
Von Timm B. Schützhofer 
 
Präsident Daniel Ortega
Foto: AFP
Nicaraguas Regierung verbessert mit ihrer Sozialpolitik die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Für manche gehen die sozialdemokratischen Reformen jedoch nicht weit genug, sie fordern grundlegende Veränderungen.

Die nicaraguanische Regierung verhandelt derzeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein neues Programm. Präsident Daniel Ortega machte bereits klar, dass sich seine Regierung möglichst schnell von der internationalen Finanzinstitution unabhängig machen will. »Noch vor Ablauf der fünf Jahre meiner Präsidentschaft wird Nicaragua vom Fonds befreit sein«, versicherte Ortega in einem Gespräch mit Lehrern. Er erklärte weiter, dass man sich bei der Lohnpolitik keine Vorschriften vom IWF machen lassen werde. Diese Äußerung diente wohl auch der Beruhigung der Lehrkräfte, die sich gerade eine Erhöhung ihrer extrem niedrigen Gehälter mühsam erstreikt haben. Ein Lehrer verdient trotz der Gehaltserhöhung nur knapp über 50 Prozent des Durchschnittseinkommens im formellen Beschäftigungssektor.
Bei ihrem Programm »Hambre Cero« (Null Hunger) setzt die Regierung auf eine produktive Sozialpolitik statt Almosen, die auch bei der Befreiung von den entwicklungsfeindlichen Zwängen des IWF helfen soll. Zehn Millionen Dollar sind im Haushalt für das Programm vorgesehen, bei dem trächtige Kühe, Schweine, Ferkel und Geflügel an besonders arme Bauernfamilien übergeben werden. Mittelfristig sollen dadurch die Lebensmittelimporte und damit das Außenhandelsdefizit erheblich verringert werden. Bei der Durchführung setzt die Regierung auf Nichtregierungsorganisationen (NRO), die bereits in den Gemeinden arbeiten.
Der produktive Ansatz wird auch durch die Gründung einer Filiale der venezolanischen »Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung« (Bandes) verfolgt, die ab Juni besonders günstige Kleinkredite mit nur zwei Prozent Zinsen an landwirtschaftliche Kooperativen verteilen wird. Mit ihren 27 Millionen Dollar Startkapital ist die Bank aus Venezuela ein Schritt in die richtige Richtung. José de Jesús Bermúdez, der bei der Regierung für die Umsetzung der Freihandelsverträge zuständig ist, meint jedoch, dass die Kredite aus Venezuela keineswegs ausreichen, um die landwirtschaftliche Produktion im Land wirklich anzukurbeln. Dazu brauche man eine staatliche Entwicklungsbank.
Es ist eine Reihe schnell spürbarer Verbesserungen, mit denen die Regierung versucht, an Popularität zu gewinnen. So erhöhte sie den Mindestlohn um 18 Prozent, setzte den unentgeltlichen Schulbesuch und die kostenlose Grundversorgung in Krankenhäusern durch. Auch der Kampf gegen den Analphabetismus ist intensiviert worden. Im ganzen Land werden kostenlose Kurse nach der erfolgreichen kubanischen Methode »Ich kann doch« angeboten. Ein Zeichen für soziale Sensibilität war auch die Senkung der Regierungsgehälter, durch die zum Beispiel der Präsident nur noch 3200 Dollar monatlich verdient. Vorher waren es etwa 10 000 Dollar.
Dennoch wird Kritik geäußert: Ehemalige Regierungsangestellte sind sauer, weil sie gefeuert wurden. Die Presse ist über Geheimnistuerei der Regierung verärgert. Beobachter sind besorgt, Ortega könne durch die Einrichtung von sandinistisch dominierten Räten das Parlament schwächen. Und auch viele Erwartungen gehen über Ortegas Vorstellungen hinaus: Soziale Bewegungen und linke Ökonomen drängen zu tiefgreifenderen Maßnahmen. Um wirkliche Veränderungen herbeizuführen, bedürfe es einer Steuerreform, bei der die Reichen endlich angemessen belastet werden, mahnt nicht nur die Coordinadora Civil, der Zusammenschluss nicaraguanischer NRO.

22 Mai 2007

IWF-Verhandlungen


Befreit sich Nicaragua von IWF?

Timm Schützhofer. In diesem Frühjahr beginnen die Verhandlungen über ein neues Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Nicaragua.

Präsident Daniel Ortega kündigte jedoch an, dass sich Nicaragua noch in seiner Amtsperiode vom IWF befreien werde. Am ersten Mai wünschte der Vorsitzende des sandinistischen Gewerkschaftsverbandes FNT Gustavo Porras vor zehntausenden Zuhörern gar dem IWF den Tod. Gleichzeitig nannte er es jedoch verantwortungsvoll, dass die sandinistische Regierung über ein neues IWF Programm verhandelt.

Der IWF selbst befindet sich derweil nach Angaben des leitenden Ökonomen des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Coordinadora Civil, Adolfo Acevedo Vogl, in einer tiefen Krise.

"Die Vorhersage ist, dass die Zahlungen von Schulden und Zinsen im Jahr 2006 von 3190 Millionen Dollar auf 1390 Millionen Dollar zurückgegangen sind und bis 2009 auf 635 Millionen Dollar. Zum ersten Mal kann der IWF seine operativen Kosten nicht aus den Zinsen der Schuldnerländer bezahlen", erklärt Vogl die finanzielle Krise des IWF. Grund dafür ist, dass die Schwellenländer - bis auf die Türkei - inzwischen ihre Schulden beim IWF zurückgezahlt haben. "Oft hat der IWF durchgesetzt, dass sich die Länder streng an Formeln hielten, die zu großen Problemen, Ungleichheiten und hohen Kosten für die Länder geführt haben. Danach hat sich der IWF geweigert, in irgendeiner Art und Weise Verantwortung für die Folgen seiner Ratschläge zu übernehmen." Länder wie Russland, Polen, Südkorea, die ehemaligen Sowjetrepubliken und zuletzt Ecuador haben sich inzwischen vom IWF befreit. Vor allem in Südamerika sucht man inzwischen nach neuen Finanzierungswegen. Brasilien, Argentinien, Bolivien, Venezuela und Paraguay kündigten die Gründung einer Bank des Südens an. Hugo Chávez hat bereits den Austritt seines Landes aus IWF und Weltbank angekündigt.

Der IWF betreut neben der Türkei also nur noch einige der ärmsten Länder der Welt. Selbst der Direktor des IWF, Rodrigo Ratio, bezweifelt derweil, ob der IWF die richtige Organisation zur Betreuung dieser Länder ist. Ziel des IWF- Direktors ist es allerdings, keine günstigen Kredite mehr vergeben zu müssen.

Im Falle Nicaraguas sei ein Programm des IWF im Grunde nicht notwendig, merkt Adolfo Acevedo Vogl an. Das Land habe schließlich eine solide wachsende Wirtschaft, nur noch wenige Auslandsschulden und eine niedrige Inflation. Der Grund dafür, dass Nicaragua und andere Länder dennoch ein IWF Programm anstreben, liegt darin, dass einige Europäische Geberländer die Auszahlung ihrer Hilfe weiterhin an die Existenz eines IWF- Programms binden.

Ziel der Regierung Ortega muss es nun sein, die Auflagen des IWF zu minimieren. Dabei sollte die Regierung auf Geheimverhandlungen verzichten und die sozialen Bewegungen und NGOs mit einbeziehen. Der Präsidentenberater für soziale Angelegenheiten, Orlando Nuñez, erklärt, dass man den Kampf gegen die Armut unbedingt gegenüber dem IWF verteidigen müsse. Was die Verhandlungen am Ende wirklich ergeben, bleibt abzuwarten.


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07 Mai 2007

Operation Wunder

Operation Wunder: Kuba und Venezuela helfen Nicaragua

Mit der Hilfe wurde schon vor dem Wahlsieg Daniel Ortegas begonnen. Die sandinistisch dominierte Vereinigung demokratischer Bürgermeister koordinierte das Projekt, das Tausenden Nicaraguanern das Augenlicht zurückbringen soll. Kuba ließ mit dem Projekt seine Tradition medizinischer Hilfe zusammen mit Venezuela wieder aufleben, das die Finanzierung der "Operation Wunder" absichert.

Yahoo News berichtet, dass  bisher arme  3200 Nicaraguaner mit beschränkten finanziellen Mitteln gratis in Kuba und Venezuela operiert wurden. Das Projekt soll noch 10 Jahre fortgesetzt werden, so dass insgesamt bis zu 50 000 Nicaraguaner operiert werden könnten. Schon bald wird es nicht mehr nötig sein, die Patienten nach Kuba oder Venezuela zu fliegen, da die Operationen in Nicaragua selbst durchgeführt werden sollen. Eine Augenklinik wird bereits in Ciudad Sandino in der Nähe von Managua eingerichtet. Kuba hat dafür medizinisches Gerät im Wert von 600000 US- Dollar gespendet. Hier sollen täglich bis zu 80 Patienten operiert werden. Darüber hinaus werden Kliniken an der Atlantikküste eingerichtet. Die Operationen sollen von kubanischen und auf Kuba ausgebildeten nicaraguanischen Ärzten behandelt werden.

Kuba vergibt Stipendien an Studenten aus insgesamt 49 Ländern. Auf Kuba ausgebildete nicaraguanische Augenärzte sollen den Hauptteil der Operationen übernehmen. 
 
Die linksliberale nicaraguanische Zeitung El Nuevo Diario lobt das Projekt und stellt klar, dass keineswegs nur Sandinisten von der Hilfe profitieren. So freut sich auch Boanerges Cruz, der von der Stadt Jinotega ausgewählt wurde, über die gelungene Operation an seinem rechten Auge. Auf die Frage eines Kubaners, ob er Sandinist sei,habe er ohne Zögern geantwortet: "Nein, ich bin liberal".  "Ich fühle mich sehr gut. Ich sehe! Es ist wirklich ein Wunder", sagt er dem Nuevo Diario. 

Klar ist auch, dass dem Projekt zunächst viel Skepsis entgegengebracht wurde. Viele Liberale verbreiten immer noch Schreckensbilder von der angeblichen Armut auf Kuba. "Sie haben mir erzählt, dass ich Hunger leiden würde, doch sie haben mich wunderbar behandelt", erzählt eine Patientin dem Nuevo Diario.

Für viele Nicaraguaner kommt die Hilfe wirklich wie ein Wunder. In den Privatkliniken Nicaraguas kosten die Operationen an grünem und grauem Star oft bis zu 2000 Dollar. Für die große Mehrheit der Nicaraguaner ist eine solche Summe nicht aufzubringen.

24 April 2007

Sozialversicherung Barrio Christo Rey

Die Sozialversicherung im Barrio Christo Rey heißt Don Raúl
Der Pferdewagenfahrer
Von Timm B. Schützhofer

Ich mache seit einem halben Jahr meinen „Anderen Dienst im Ausland" (ADiA), in Rivas, einer Kleinstadt im Süden von Nicaragua. Der ADiA ist dem Zivildienst gleichgestellt. Meine ADiA-Arbeit leiste ich in einem Gartenprojekt des Vereins „Para Nicaragua" („Für Nicaragua"), in das 22 Familien ihre Hoffnungen setzen. Heute ist Sonntag, also habe ich frei.

Don Raul
Stolz auf seine Spendenquittungen - Don Raúl
Foto: NRhZ-Archiv


Mit meinem Fahrrad biege ich von der Hauptstraße links ab, in Richtung des Badeorts San Jorge und sehe schon von weitem die rot-schwarze Fahne im Barrio Christo Rey. Hier sitzt Don Raúl vor seinem einfachen Haus im Vorgarten, und seine Frau verkauft hier Frescos und Früchte, um etwas dazuzuverdienen. "Tinn, Tim, a la playa", begrüßt mich ihr Enkel Edito, denn heute soll es mit dem Pferdewagen an den Strand des Nicaraguasees gehen. Für die 10 Kilometer bis zum See brauchen wir eine Stunde und haben dann einen schönen Strand mit Blick auf die Vulkaninsel Ometepe fast für uns allein. Reis und Bohnen, Limonade und Chips sind unsere Verpflegung für den Tag.

Mit Don Raúl arbeitet „Para Nicaragua" schon seit etwa zehn Jahren zusammen. Zuletzt konnten wir den Spielplatz im Barrio mit Spendengeldern verbessern. Über 500 Euro haben uns eine Rutsche und zwei Wippen gekostet. Ohne Don Raúl, wäre es weitaus teurer geworden, denn er kennt alle Geschäfte und Werkstätten und ist außerdem ein geschickter Händler. Mit moralischen Appellen und Preisvergleichen gelingt es ihm in der Regel, die Preise noch weiter runter zu drücken. „Aber es ist doch für die Kinder", wirkt er auf die VerkäuferInnen ein.

Spielplatzeinweihung im Barrio
Spielplatzeinweihung im Barrio

Bis der Spielplatz fertig war, dauerte es einige Wochen. Schließlich mussten wir der Werkstatt das Material besorgen und anliefern - alles mit Hilfe von Don Raúls Pferdewagen -, und dann hieß es abwarten, bis alles zusammengeschweißt war. Einfache Katalogbestellungen machen kann man hier in Rivas nicht.

Bei der Einweihung des Spielplatzes wurde mir eine Dankeskarte überreicht. Es waren viele Leute da, und Don Raúl bedankte sich in einer kleinen Rede bei allen, die mitgeholfen hatten: bei den zwölf jungen Männern, die die Löcher ausgruben und beim Einbetonieren der Spielgeräte halfen, bei den Spendern aus dem Barrio, die Süßigkeiten, Limonada und Torte gespendet haben und natürlich bei den Spendern aus Deutschland.

Don Raúl ist in ganz Rivas bekannt und überzeugter Sandinist. Daniel Ortega hängt eingerahmt an der Wohnzimmerwand. "Weil Daniel für die Armen ist", erklärt er mir. Mit der Rückkehr von Daniel Ortega an die Macht, so hofft er, werde sich auch das Bildungs- und Gesundheitssystem verbessern. Aber Don Raúl wartet nicht nur auf die Regierung, sondern versucht selbst etwas zu ändern. Für viele Leute hier ist er so etwas wie eine Sozialversicherung.

Rutsche
Ohne Spenden aus Deutschland gäbe es die Rutsche nicht
Fotos:  Timm B. Schützhofer


"Wenn jemand krank ist und Geld für Medikamente oder eine Operation braucht, gehe ich mit einigen Freunden durchs Viertel und sammle Geld ein", sagt er. Manchen Menschen sei es zwar peinlich, um Geld zu bitten, ihm aber nicht, weil er es ja nicht für sich tut. Manche hätten auch kein Vertrauen zueinander. "Deshalb zeige ich immer alle Quittungen, damit niemand sagt, Don Raúl bereichert sich", sagt er. Hilfe bekommt er gelegentlich auch von Venancio Ibarra, der sandinistischen Abgeordneten von Rivas. Doch auch mit dem liberalen Bürgermeister hat er schon zusammengearbeitet. "Das Wichtigste ist doch, die Probleme der Menschen lösen", begründet er das.

Fragt man die Menschen in den ärmsten Straßen des Viertels, an wen sie sich in einer Notlage wenden würden, hört man erstaunlich oft den Namen des "Pferdewagenfahrers", der selbst jeden Tag um 2 Uhr morgens aufsteht, mit seinem Carreton Fleisch vom Schlachthof zum Markt transportiert, um sich und seine Familie über die Runden zu bringen. Die Menschen hier fühlen sich von den Politikern schon lange vergessen. Ihre Wellblechdächer sind undicht, alle haben hier im letzten Jahr Hungerzeiten durchgemacht, vertrauen sie uns an.

Para Nicaragua wird auch weiter mit Don Raúl zusammenarbeiten, weil wir sicher sein können, dass die Preise, die wir über ihn für Material und Transporte bezahlen, angemessen sind, und dass unsere Spenden durch seine Vermittlung auch den wirklich Bedürftigen zukommen. Wenn Sie unser Projekt unterstützen wollen, helfen Sie uns mit einer Spende an „Para Nicaragua", Konto 84875, Sparkasse Offenbach, BLZ 50550020, Stichwort: Gartenprojekt



Timm B. Schützhofers Arbeit für „Para Nicaragua" findet im Rahmen der Landwirtschaftshochschule Escuela Internacional de Agricultura y Ganadería (E.I.A.G.) und des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Coordinadora Civil (CC) statt, in dem mehr als 350 soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen sind. Bei der CC ist er besonders für eine Kampagne gegen die IWF-Auflagen für Nicaragua aktiv.
Weitere Informationen über Para Nicaragua www.paranicaragua.de und www.rivas-nicaragua.blogspot.comhttp://www.nicaragua-forum.de/06/iwf-accion.htm


Der Andere Dienst im Ausland (ADiA) ist ein sozialer Dienst und als Wehrersatzdienst anerkannt, kann also anstelle eines regulären Zivildienstes abgeleistet werden

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