07 August 2007

Artikel in NRhZ


Globales
Rückblick auf ein Jahr als Kriegsdienstverweigerer in Zentralamerika
Zurück aus Nicaragua
Von Timm B. Schützhofer

Als Kriegsdienstverweigerer hat Timm B. Schützhofer ein Jahr lang seinen „Anderen Dienst im Ausland“ (ADiA) in Nicaragua gemacht. Nun ist er wieder zurück in Offenbach und wird in den folgenden NRhZ-Ausgaben in loser Folge berichten, was er während dieses „anderen Zivildiensts“ in Zentralamerika erlebt hat. (Siehe auch NRhZ 91 und 92) – Die Redaktion.

Immer ein Teil meines Lebens

Mit Nicaragua war ich schon seit meiner frühesten Kindheit eng verbunden. Mein Vater baute im Sommer1986 als Mitbegründer von „Para Nicaragua“ mit einer Schülerbrigade eine Vorschule in dem Dorf Belén bei Rivas, im Süden des Landes. Danach hieß es jahrelang: Container schicken, einen Weihnachtsmarktstand betreuen, Bananen verkaufen und Nicaragua-Kaffee trinken. Nicaragua war immer ein Teil meines Lebens – die von Daniel Ortega unterschriebene Urkunde meines Vaters hängt im Arbeitszimmer meiner Eltern und die rot-schwarze Sandino-Uhr in der Küche.

2001/02 machte mein Bruder Nico seinen „Anderen Dienst im Ausland“ im nicaraguanischen Granada, und auch ich entschied mich, meinen ADiA in Nicaragua zu leisten. Am 5. Juli 2006 kam ich auf dem Augusto Cesar Sandino-Flughafen in Managua an. Ein paar Wochen später änderte der neoliberale Präsident Enrique Bolaños den Namen, doch nach dem Wahlsieg der Sandinisten erhielt der Flughafen wieder seinen alten Namen: „Nicaragua Libre“ steht für alle deutlich zu sehen über dem Eingang.


Timm Schützenhofer mit Raùl Timm (re.)

Jedes Jahr zur großen Revolutionsfeier


Nach 16 Jahren neoliberaler Regierungen ist Daniel Ortega wieder an die Macht gekommen. Als ich jetzt beim Abflug den alten neuen Schriftzug auf dem Flughafen las, erinnerte ich mich an den 19. Juli, den Tag der Revolution. Damals – noch neu in Nicaragua – fuhr ich zusammen mit Don Raúl und seiner Familie in einem völlig überfüllten Bus zur großen Revolutionsfeier nach Managua. Hunderttausende waren versammelt, ein Fahnenmeer und in den Himmel gestreckte Fäuste, als die Hymne der FSLN aus den Lautsprechern schallte.

Für Don Raúl ist es eine schöne Pflicht, jedes Jahr die Revolution zu feiern. Zuhause in Rivas wohnt er mit seiner Familie im Barrio Christo Rey, einem ärmeren Viertel. Der Fußboden seines Häuschens besteht aus Erdboden, Hühner laufen im Hof herum. Vor den Wahlen war die Kutsche, mit der er seinen Lebensunterhalt verdient, mit sandinistischer Wahlwerbung beklebt. Seit Jahren arbeitet er schon mit dem „Para Nicaragua e.V.“ zusammen. Geld möchte er dafür nicht. „Der Revolutionär arbeitet nicht für Geld, er arbeitet, damit es den Menschen besser geht!“, erklärt er und kritisiert damit die Korruption in der eigenen Partei. Dennoch sei die FSLN immer noch die Partei, die sich für die Armen einsetze.

Vor dem blass gestrichenen Haus verkauft seine Frau Doña Tina Fruchtsäfte, die ganze Familie sitzt auf Plastikstühlen und der vierjährige Enkel Eddito grinst mich an. Sein großer Bruder spielt gerade Fußball. Über dem Haus hängt die rot-schwarze Fahne der FSLN. Auch Eddito weiß schon, wer Daniel Ortega ist. Als ich ihn frage, wer die Wahlen gewonnen hat, grinst er über beide Ohren und ruft: „Danel Otega!“ Sein älterer Bruder, Luis, war schon Fahnen schwenkend auf mich zugekommen, um mich zu fragen: „Weißt du schon, dass wir gewonnen haben?“



Kinderarmut in la Chocolata

„La Chocolata Express“

Die Erinnerungen an Nicaragua sind bunt, farbenfroh, grau, voller Kontraste, Gerüche, Unruhe: „Taxi, Chele, San Juan, San Juan Chele“, rufen mir die Taxifahrer jedesmal entgegen, wenn ich beim Markt an ihrem Taxistand vorbeigehe. Gleich in der Nähe stehen die Busse, meist ausgemusterte amerikanische Schulbusse. Die Musikanlage ist in der Regel das einzig Neue an diesen Bussen. Aus den Lautsprechern dröhnen alte „Rancheros“. Darin geht es um Liebe, Leidenschaft, Betrug und Schmerz. Die Busse sind „unkaputtbar“, wie gemacht für die Straßen in Nicaragua. Mit dem „La Chocolata Express“ gelangt man in den gleichnamigen ländlichen Vorort von Rivas. Ein angeklebter Mercedesstern kann die Rustikalität des Busses nicht verbergen. Er ist ein Kind der 50er Jahre und läuft und läuft und läuft.

„Welche Freude Sie zu sehen“, begrüßt mich Don Ponziano, ein älterer Herr, der „Para Nicaragua“ einmal ein Stück Land für den Bau eines Kinderspielplatzes geschenkt hat. Für „PaNic“ und dessen Gemüseanbauprojekt, von dem einmal 22 Familien leben werden, arbeite ich, seitdem ich im Lande bin. Don Ponziano lebt in einfachen Verhältnissen, seine Frau ist schon vor langer Zeit verstorben. Als Mitglied in verschiedenen Komitees tut er für seine Gemeinde, was er kann. Er erkundigt sich nach Don Raúl, der zusammen mit einem ehemaligen ADiA-Leistenden und seinem Neffen die Spielgeräte aufgestellt hat.


Gerhard Ponziano unterstützt "Para Nicaragua"
Alle Fotos: Timm B. Schützenhofer


„Die Leute sind Banditen“, meint Don Raúl, als ich ihn später wieder treffe, denn „kaum einer ist zum Helfen gekommen.“ Ein bisschen hört man bei ihm die Enttäuschung über den verloren gegangenen Zusammenhalt heraus, über den Egoismus, der sich durch den um sich greifenden Neoliberalismus wie ein Krebsgeschwür in Nicaragua ausgebreitet hat. Viele denken inzwischen zuerst an sich selbst, dann an die Familie und an die Nachbarn nur selten. Und doch gibt es viele unglaublich gastfreundliche Menschen. Von den Besuchen bei Begünstigten unseres Gemüseanbauprojekts radelte ich fast immer mit dem Rucksack voller Tomaten, Mangos, Bananen und Paprikas zurück nach Rivas.

Wieder zurück in Deutschland, steht für mich eins fest: Das war auf jeden Fall nicht meine letzte Reise nach Nicaragua: Zurück in ein schönes Land, mit faszinierenden Menschen. (CH)