20 April 2007

Interview

Interview mit Heike Hänsel, Entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Sie unterstützen die Kampagne von Intermon Oxfam und der Coordinadora Civil für eine Flexibilisierung der IWF Auflagen für Nicaragua. Was stört sie an Auflagen und Forderungen des Währungsfonds? 

Der Internationale Währungsfonds hat gerade erst auf seiner Frühjahrstagung wieder seinen Kurs auf noch mehr Freihandel und noch mehr Liberalisierung bekräftigt. Die Menschen in Lateinamerika haben aber genug von dieser Politik, die ihnen nichts Gutes gebracht hat. Sie versuchen neue Wege internationaler Kooperation und wirtschaftlicher Integration zu gehen, zum Beispiel im Rahmen des Abkommens ALBA (Bolivarische Alternative für Amerika), dem u. a. auch Nicaragua beigetreten ist. Und hier beginnt das Problem: Die Politik des IWF behindert die solidarische Integration im Rahmen von ALBA. So schränken die IWF-Auflagen ganz konkret die Möglichkeiten der nicaraguanischen Regierung ein, die Kooperation über die öffentlichen Haushalte abzuwickeln, z. B. günstige Kredite aufzunehmen. Das führt dazu, dass auf die Abwicklung in privatrechtlich verfassten Unternehmen zurückgegriffen werden muss, was wiederum nicht im Sinne einer linken Regierung und eines linken Kooperationsprojektes sein kann.    
 
Nicaragua und andere Entwicklungsländer liegen bei den Millenniumszielen weit zurück. Was kann Deutschland tun, damit diese Länder die Ziele trotzdem erreichen?  

Die jüngste OECD-Veröffentlichung hat gezeigt: Die weltweite Entwicklungshilfe ging 2006 um 5 Prozent zurück. Entwicklungsbezogene Nichtregierungsorganisationen malen ein noch düstereres Bild. Sie kritisieren, dass die OECD auch solche Mittel als Entwicklungshilfe anrechnet, die keinen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten. Insbesondere wird immer wieder die Anrechnung von Schuldenerlässen kritisiert, mit denen sich die Industrieländer ihre ODA-Quote (Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen) schön rechnen. Das gilt auch für Deutschland. Es muss erheblich mehr zusätzliches Geld locker gemacht werden, wenn die international vereinbarten Ziele zur Anhebung der ODA-Quote nachhaltig erreicht werden sollen.  

Noch wichtiger ist allerdings m. E., dass die Bundesregierung und die EU in Fragen der internationalen Wirtschaftsordnung umsteuern. Leider ist das Gegenteil der Fall: Am 23. und 24. April tagt der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU. Ihm liegen gleich mehrere Verhandlungsmandate zur Verabschiedung vor, mit denen die EU-Kommission rund um den Globus ihre Freihandelspolitik durchsetzen soll. Diese Freihandelspolitik hat bereits Entwicklungschancen von Millionen vernichtet, hier brauchen wir einen völlig neuen Ansatz – ALBA kann da u. a. ein Vorbild abgeben.  
 
Derzeit wird ein Assoziationsabkommen zwischen EU und Lateinamerika geplant. Worum geht es bei diesem Abkommen? 

Es werden sogar gleich mehrere Abkommen vorbereitet. Eines zwischen der EU und Zentralamerika, ein weiteres zwischen der EU und der Andengemeinschaft. Beide sollen schon sehr bald parallel verhandelt werden. Später sollen dann auch die Verhandlungen mit dem Mercosur wieder aufgenommen werden. In diesen Abkommen und vielen weiteren, die die EU vorbereitet, will sie solche Ziele, die sie im Rahmen der Welthandelsorganisation nicht durchsetzen kann, auf die Agenda setzen: Investitionsschutz für europäische Konzerne, Harmonisierung des Wettbewerbs, Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte, Schutz geistigen Eigentums (TRIPS +). All diese Themen wurden in der WTO bislang ausgeklammert, auf Betreiben der Entwicklungs- und Schwellenländer, die zu recht die drastische Einschränkung ihrer politischen Handlungsspielräume befürchten.   
 
Unter welchen Bedingungen würde die Linksfraktion ein Assoziationsabkommen unterstützen?  

Die Fraktion DIE LINKE. hat gerade einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem wir „Solidarische Assoziierungsabkommen der EU mit den zentralamerikanischen Staaten und den Staaten der Andengemeinschaft" fordern. Das heißt konkret: Die Verhandlungsmandate der EU-Kommission dürfen nicht im Widerspruch zur regionalen Integration stehen. Die Verhandlungen müssen auf gleicher Augenhöhe und mit dem Ziel einer verstärkten Entwicklungspartnerschaft geführt werden. Es dürfen keine Geheimverhandlungen werden. Sie müssen für die Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Parlamente geöffnet werden. Und: Sie müssen das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und Lateinamerika berücksichtigen, das heißt, sie dürfen nicht reziprok sein. Soziale, ökologische und arbeitsrechtliche Standards müssen Vorrang vor Konzerninteressen haben. Wir haben dabei die vielfältigen Vorschläge, die von sozialen Bewegungen in Zentralamerika und den Andenstaaten und von der linken Regierung Boliviens zu den Verhandlungszielen gemacht worden waren, aufgegriffen.

 
Die nicaraguanische Frauenbewegung und Menschenrechtsgruppen sind wegen des völligen Abtreibungsverbots in Nicaragua sehr besorgt. Wie kann auf die nicaraguanische Politik Einfluss genommen werden?
 

Das Frauenplenum der Fraktion DIE LINKE. hat sich mit einem Brief an die nicaraguanische Regierung gewandt und gefordert, das Abtreibungsverbot zurückzunehmen. Das Recht auf Abtreibung hat immer zu den Essentials linker Politik gehört. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau kann nicht kurzfristigen taktischen Überlegungen und Bündnissen geopfert werden. Ich hoffe, dass die nicaraguanische Regierung, der wir in vielerlei Hinsicht solidarisch verbunden sind, hier zu einem anderen Kurs findet.  
 
Im September diesen Jahre fliegt eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten nach Nicaragua. Welche Themen werden auf der Tagesordnung stehen?
 

Die Planung steht noch ganz am Anfang. Und wie immer werden auch kurzfristige Entwicklungen die Agenda bestimmen. Aber da es sich um eine Delegation des Bundestagsausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung handelt, werden entwicklungs- und handelsbezogene Themen im Vordergrund stehen. Ich werde vorschlagen, dass wir neben Parlaments- und Regierungsvertreter/innen auch zivilgesellschaftliche Gruppen treffen – eben auch solche, die sich kritisch mit der Handels- und Wirtschaftspolitik von IWF und EU auseinandersetzen, und solche, die sich für das Selbstbestimmungsrecht der Frau stark machen.