18 April 2007

Projektartikel

Arbeit u. Soziales
Offenbacher Kriegsdienstverweigerer berichtet aus Nicaragua:
Der Fluss des Goldes ist ausgetrocknet
Von Timm B. Schützhofer

Ich mache seit einem halben Jahr meinen „Anderen Dienst im Ausland" (ADiA) in Rivas, einer Kleinstadt im Süden von Nicaragua. Der ADiA ist dem Zivildienst gleichgestellt. Im folgenden Text berichte ich über das Gartenprojekt des Vereins „Para Nicaragua" („Für Nicaragua"), für das ich hier arbeite und über die damit verbundenen Hoffnungen und Probleme von 22 Familien.

Gerhard, Mitglied von Para Nicaragua, und Mitarbeiter Herberto
Gerhard, Mitglied von Para Nicaragua, und Mitarbeiter Herberto besprechen den Bau eines Gewächshauses

Wenn ich von meiner Unterkunft im Lehrerviertel in die Innenstadt von Rivas fahre, überquere ich auch den "Rio de Oro", auf Deutsch: „Fluss des Goldes". Einige hundert Meter weiter liegt der Park, noch ein Stück geradeaus der Markt und rechts ab geht es auf die „Straße der Millionäre". Doch Millionäre gibt es hier ebenso wenig, wie es im „Fluss des Goldes" Gold gibt. Nicht einmal Wasser findet man in diesem Fluss, nur Schlamm.

Sorgen um die Zukunft unseres Gartenprojekts

Die Trockenzeit trifft Nicaragua in diesem Jahr besonders hart, da es auch in der vorhergehenden Regenzeit viel zu wenig Niederschläge gab. Wir machen uns Sorgen um die Zukunft unseres Gartenprojekts.

Ich biege mit meinem Fahrrad auf den staubigen holprigen Weg nach La Chocolata ein, um dort Familien zu besuchen, die sich an unserem Brunnen- und Gartenprojekt beteiligen, aber auch andere, die ich für eine Beteiligung gewinnen will. Eine kleine Herde Ziegen uns Kühe kommt mir entgegen und macht nur sehr widerwillig Platz; kaum, dass sie mich durchlassen. Vor einem Radfahrer haben sie noch weniger Respekt als vor einem Auto. Dann überhole ich einen altertümlichen einachsigen Ochsenkarren. Kurz vor La Chocolata erwischt es mich dann doch noch: Einer von diesen hochrädrigen Jeeps überholt mich in hohem Tempo. Ich gerate voll in die Staubwolke, sehe kaum noch was, atme den Dreck ein und versuche, ihn wieder auszuhusten… Wer hier ein Auto hat, zeigt das gern den anderen. Sie nehmen es ihm seltsamerweise nicht übel.

Don Ponciano sitzt vor seinem Haus auf der kleinen Anhöhe und schaut den Kindern zu, die sich unten vor der gegenüberliegenden kleinen Grundschule auf dem Spielplatz vergnügen. Das Landstück dafür hat er gespendet.

La Chocolata ist ein besonders armer Vorort von Rivas: Staubige, holprige Wege, die dürftigen Hütten liegen verstreut an den steilen, schluchtigen Hängen. Wenn man diesen Weg weiterfährt – einen Geländewagen sollte man dann schon haben – kommt man in einer guten Stunde zu einigen wunderschönen Stränden an der Pazifikküste. Kurz hinter La Chocolata stehen die ersten Werbeschilder der Immobilienmakler „Century 21, BEST VALUE REALTY …LOTS, HOMES FARMS …OCEAN FRONT Offices in San Juan del Sur . www.c21nicaragua.com…."  Die schönen Küstenareale werden zu steigenden Preisen verkauft…

Unterstützung für 22 Familien

Meinen ersten Besuch mache ich bei der Familie von Doña Olga und Don Wilbert . Betrübt zeigen mir Wilbert und Olga ihren austrocknenden Brunnen, die einzige Wasserquelle in der Nähe. "Vor 5 Jahren war der Brunnen 12,5 Meter tief, dann mussten wir ihn weiter vertiefen und heute ist er bei fast 18 Metern, doch er hat kaum noch Wasser".

Wilbert arbeitet bei der Landwirtschaftshochschule EIAG als Wachmann, seine Frau nimmt am Gemüseanbau-Projekt meines Vereins „Para Nicaragua" teil. Ihr vierzehnjähriger Sohn besucht noch die Schule, die kleine Tochter begleitet uns auf unserem Rundgang über das Gelände. Sie sind eine richtige Vorzeigefamilie für unsere Projekt: Sie haben schon einen Garten angelegt, den vor allem Olga sehr gut in Stand hält, halten ein paar Schweine in einem ordentlich gebauten Stall aus Holzbrettern, dann haben sie noch ein Bananenfeld, Mais und Sorgum (Hirse) wachsen auf den Feldern, es gibt ein paar Obstbäume…

22 Familien wurden bisher in das Projekt einbezogen. Sie erhielten von uns zunächst den Stacheldraht und die Holzpfeiler für einen Zaun sowie Samen verschiedener Gemüse­sorten und Früchte. Ein Arbeiter betreut die Familien und es gibt bereits ein Gewächshaus, aus dem sie kostenlos neue Pflanzen beziehen können. Nun aber ist das Projekt durch die große Trockenheit bedroht.

Unser Hauptproblem ist das Wasser

 „Das Wasser reicht gerade noch so zum Kochen und Duschen, und einen Tag wasche ich Wäsche und am anderen Tag gieße ich die Pflanzen", erklärt mir Olga. Bisher haben die Pflanzen den Wasser­mangel überdauert, aber sie kümmern dahin und auf eine gute Ernte hat Olga kaum noch Hoffnung. Dabei hatte sie sich doch schon vorgestellt, wie sie in Zukunft den Speiseplan ihrer Familie abwechslungsreicher und gesünder gestalten und den Überschuss in ihrer kleinen Tienda verkaufen könnte, die sie im Vorraum ihrer Hütte eingerichtet hat.
Aber anderen Familien geht es noch schlechter. Diejenigen, die keinen eigenen Brunnen haben, müssen bei Nachbarn um Wasser bitten und dafür oft weit laufen. „Das Wasser ist das Hauptproblem", meint auch unser Mitarbeiter Don Herberto, der die 22 Familien  einmal wöchentlich besucht, um sie zu  beraten und sich über den Fortgang des Projekts zu informieren.

Herberto mit dem Sohn von Olga und Wilbert
Herberto erklärt dem Sohn von Olga und Wilbert die Pflege des Gemüsegartens

Immer wieder bin ich bei den Leuten zuhause gewesen, um mit ihnen über ihre Mitarbeit im Projekt zu reden; vor allem musste die Eigenbeteiligung der Familien geklärt werden. Jede Familie soll bei der Arbeit helfen und auch finanziell so viel dazugeben, wie ihr möglich ist, damit am Ende möglichst viele Familien profitieren können. Es ist nicht immer einfach, die Leute von den Vorteilen eines Gartens zu überzeugen. Vor allem die Männer sind skeptisch; bedeutet so ein Gemüsegarten doch auch mehr Arbeit … Arbeit, von deren Erfolg sie noch nicht immer überzeugt sind, vor allem jetzt angesichts der Trockenheit. Mit einem Brunnenbauer mussten die Preise verhandelt werden. Je weiter ich diesen mit Hilfe von Don Raul, unserem erfahrenen Verbindungsmann vor Ort, runterhandeln konnte, um so mehr Brunnen können gebaut werden. Das nutzt dem Projekt, aber dennoch beschleicht mich ein komisches Gefühl, wenn ich bedenke, was das für eine Knochenarbeit ist, so einen Brunnen auszuheben.

Bau neuer Brunnen dringend notwendig

Vor allem die Frauen kümmern sich um die Gemüsegärten. Sie produzieren hauptsächlich für den Eigenbedarf. In der letzten Regenzeit haben einige auch schon damit begonnen, ihre Tomaten, Chili, Melonen und Paprika auf dem Markt in Rivas zu verkaufen, um sich ein paar Cordobas dazu zu verdienen. Ohne Wasser ist jedoch kein Gartenbau möglich und das erfolgreich gestartete Projekt ist durch den Wassermangel in seiner Existenz bedroht.

Eltern und Damaris
Besuch aus Deutschland: die Eltern des Autors mit Damaris (links) im Gewächshaus
Fotos: Timm B. Schützhofer


Doch wir sind dabei, das Wasserproblem in den Griff zu kriegen. Möglichst noch in diesem Jahr wollen wir mit dem dringend notwendigen Bau von neuen Brunnen und der Vertiefung bereits bestehender beginnen. Finanzielle Unterstützung dafür haben wir auch bei der Hilfsorganisation „Christian Aid" beantragt und hoffen auf eine positive Antwort. Auch die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung von Rivas/Alcaldia klappt zunehmend besser.

Wir erwarten, dass in den kommenden Jahren noch weitere Brunnen gebaut werden müssen. Schließlich wollen wir auch andere Familien bei den Brunnen zum Zug kommen lassen und das Gemüseprojekt weiter ausbauen. Als nächster Schritt ist geplant, einigen Familien einen begehbaren Hühnerstall zu finanzieren.

Spendengelder werden effektiv eingesetzt

Vielleicht kann unsere Arbeit in „La Chocolata" Modellcharakter bekommen, da besonders die armen Menschen davon profitieren und gute Mitarbeit belohnt wird. Dadurch wird das meist aus Spenden kommende Geld besonders effektiv eingesetzt. Durch eigene Arbeit können die Familien ihre Ernährung um wichtige Vitamine und Nährstoffe erweitern und gleichzeitig Geld sparen. Für nächstes Jahr ist die Integration neuer Familien geplant, denn in Zusammen­arbeit mit der Stadtverwaltung sollen 14 Häuser einen Wasseranschluss/Brunnen bekommen. Viele von ihnen wollen nun auch mit dem Gemüseanbau beginnen.

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