03 Februar 2007

Berliner Umschau

Neoliberalismus, Risiken und Nebenwirkungen in Zentralamerika

Für eine solidarische Wirtschaft - gegen Neoliberalismus

Von Timm Schützhofer, 
Rivas (Nikaragua)



Zentralamerika ist wohl die am stärksten von den USA abhängige Region der Welt. Es ist der Hinterhof der Supermacht. Was der neue ecuadorianische Präsident Rafael Correa als „lange Nacht des Neoliberalismus" bezeichnet hat, ist hier noch lange nicht vorbei. In´den meisten Ländern wächst die Wirtschaft, trotzdem zeichnen die Vertreter von Initiativen für fairen Handel ein negatives Bild von der sozialen Entwicklung in ihren Ländern.

Die Armen erreicht das Wachstum nicht. Der Einschätzung Rafael Correas, dem neuen linksorientierten Präsidenten Ecuadors, dass der Markt ein sehr guter Diener aber auch ein schlechter Herr sei, hätten die aus El Salvador, Panama, Honduras und Ecuador nach Nicaragua gereisten Delegierten wohl zugestimmt. In Managua traf sich ein Netzwerk verschiedener zentralamerikanischer Organisationen, die sich für eine solidarische Wirtschaft einsetzen und Kleinbauern und Kunsthandwerker bei der Vermarktung ihrer Produkte
unterstützen.

Wenn Feliciano Martínez aus Honduras über die Probleme seines Landes spricht, dann nennt er zuerst die steigende Kriminalität und die Gesundheitskrise. Diese Entwicklung führt er auf den Neoliberalismus zurück. Auch in El Salvador wird in der zunehmenden Kriminalität ein sehr großes Problem gesehen. Die Regierung habe auf die hohe Mordrate- bis zu 18 Morde täglich (bei einer Einwohnerzahl von etwa 6,5 – 7 Mio..) - mit harter Hand reagiert, was jedoch nichts gebracht hat. Der so genannte Tiger Zentralamerikas wachse vor allem wegen der Remesas (Geld, das von im Ausland lebenden Menschen in die Heimat überwiesen wird), die inzwischen 30 Prozent des BIP ausmachten, erklärt Luis Zúniga vom ecuadorianischen Netzwerk CORDES.

Wie in Honduras gebe es einen Mangel an Medikamenten. Das Geld für Gesundheit und Bildung sei gekürzt worden, erklärt Zúniga. Auch in Panama sieht der Vertreter von PROCOSOL, Raúl Nunez, keine Verbesserungen. Präsident Martin Torrijos bezeichnet er als USA hörig.

Und Nicaragua? Damaris Aguilar von RENICC stellt die Lage des Landes nach 16 Jahren Neoliberalismus so dar: Der Sandinistenführer Daniel Ortega steht demnach vor schweren Aufgaben als Präsident. Er übernimmt die Regierung in dem nach Haiti ärmsten Land des Kontinents, wo zudem, nach Brasilien, die größten Unterschiede zwischen Arm und Reich bestehen .

Und auf dem Weltmarkt werden die Produkte des Landes jedes Jahr billiger, die importierten Maschinen und technischen Geräte jedoch immer teurer. Der freie Markt wird derweil durch die Agrarsubventionen in den USA zu einer Farce. Billige Agrarimporte aus den USA bedrohen mehr und mehr die Existenz der nicaraguanischen Campesinos. Die Ergebnisse von 16 Jahren Neoliberalismus lassen sich kurz zusammenfassen: 34% Analphabetismus, 850 000 Kinder außerhalb des Bildungssystems, Tausende ohne Zugang zu Gesundheitsversorgung, mindestens 30 Prozent Arbeitslosigkeit, das Fehlen von 400000´Wohnungen. Die Nicaraguaner scheinen, wie andere Zentralamerikaner auch, mit den Füßen abzustimmen. Eine Millionen Nicaraguaner lebt außerhalb des Landes, 5,5 Millionen in Nicaragua.

Was man tun kann? "Artikulieren", sich verstärken" und „mobilisieren", lauten die Schlagwörter. Die Protestform soll gewaltfrei sein. Dass starke zivilgesellschaftliche Bündnisse etwas bewirken können, meint auch der nicaraguanische Ökonom Adolfo Acevedo Vogl. In Costa Rica sei das Freihandelsabkommen DR-CAFTA auch deshalb noch nicht ratifiziert worden, weil es starke Proteste aus der Zivilgesellschaft gegeben habe. „Das soziale Gewissen der Nation ist hier stärker ausgeprägt", stellt der Ökonom fest. Bei dem Abkommen geht es um mehr als um Freihandel, beispielsweise auch um Patentrechte auf Wirkstoffe bestimmter Pflanzenarten. Ein für Zentralamerika besonders wichtiges Thema, da die Region besonders reich an Biodiversität ist. An den besonders scharfen IWF- Auflagen für Nicaragua, sei auch die fehlende Mobilisierung gegen die Regeln des IWF und mangelnde Information der Bevölkerung Schuld. Für Honduras sind die Auflagen bei Weitem weniger streng. Honduras kann deshalb mehr in Bildung investieren.

Die politische Arbeit ist den Organisationen wichtig. Sie verstehen sich nicht als reine Vermarktungsfirmen im Sinne eines verantwortungsbewussten Unternehmertums, sondern arbeiten für eine solidarische Wirtschaftsordnung. Dies ist schwer in einem neoliberal bestimmten Umfeld. Wichtig ist den Teilnehmern der Konferenz, dass „der Kampf für die Armen" ein unverhandelbarer Wertmaßstab der Organisation sein muss. Mit der Vermarktung von Agrarprodukten möchte man die Nahrungsmittelsicherheit und die Nahrungsmittelsouveränität herstellen. Hier bereitet vor allem die Konzentration der Saatgutproduktion in der Hand weniger Multis Sorgen. Den Kunden möchte man Produkte hoher Qualität anbieten- die meisten in Relacc zusammengeschlossenen Organisationen setzen daher auf organischen Anbau. Eine Schule für solidarische Wirtschaft soll entstehen. Anfänge haben verschiedene Organisationen auf nationaler Ebene schon gemacht.

Man möchte so Alternativen zur aktuellen Wirtschaftsform entwickeln und strukturelle Veränderungen zum Vorteil der großen Mehrheit bewirken.

Die Netzwerke sind nicht gewinnorientiert, wollen aber innerhalb der nächsten Jahre Selbsttragend werden. „Wir können nicht auf ewig von Spenden abhängen", macht der Direktor Relacc`s, Rubén Tapia deutlich. Die an Projekten teilnehmenden Frauen, Männer und Familien profitieren von Schulungen und den sich ihnen öffnenden Märkten. Sie werden organisiert und es wird untersucht, welche Produkte gebraucht werden. Es wird versucht, einen Teil der Produkte direkt in einem Geschäft in der Gemeinde zu vermarkten oder auf so genannten Bauernmärkten. Dafür werden die Menschen ausgebildet und können sich persönlich
weiterentwickeln. Worterklärungen: Relacc – Lateinamerikanisches Netzwerk für Kommunale Vermarktung

Auswärtiges Amt-Info: El Salvador weist in Lateinamerika und weltweit eine der höchsten Kriminalitätsraten auf. Im Jahresschnitt kommen pro Tag 10 Menschen durch Tötungsdelikte ums Leben. Die Gefahr von Gewaltverbrechen - insbesondere in der Nähe der touristisch interessanten Vulkane und am Strand - ist überaus hoch, die Hemmschwelle beim Gebrauch von Schuss- oder Stichwaffen niedrig. Im Falle eines Überfalles ist es dringend geboten, auf Widerstand zu verzichten.

Als besonders gefährlich müssen sowohl die Hauptstadt des Landes, San Salvador, als auch die Departamentos La Paz, La Libertad und Sonsonate angesehen werden. Auch in der Nähe der großen Hotels der Hauptstadt („Zona Rosa") kommt es regelmäßig zu Überfällen. Es wird empfohlen, auch bei kurzen Wegstrecken ein Auto (zugelassene Taxis haben ein „A" als ersten Buchstaben auf dem Nummernschild) zu benutzen. Einzelreisende sollten besonders vorsichtig sein. Nach Möglichkeit sollte nur auf Hauptstraßen gereist und Nebenstraßen vermieden werden. Auf Wandertouren oder ähnliche Ausflüge ohne kundige Begleitung abseits der Hauptverkehrsstraßen sollte verzichtet werden. Halten Sie die Türen und Fenster Ihres Autos geschlossen. Nehmen Sie keine Anhalter mit und halten Sie auch nicht bei einem scheinbaren Unfall, sondern verständigen Sie die nächste Polizeidienststelle (schon mancher Unfall wurde fingiert, um den zu Hilfe Eilenden auszurauben).

Veröffentlicht: 3. Februar 2007


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