Lateinamerikanachrichten
Durchwachsener Start für Daniel Ortega
Die nicaraguanische Regierung auf Schlingerkurs
Ein halbes Jahr nach dem erneuten Amtsantritt Ortegas ist noch keine klare Linie in der Regierungsführung zu erkennen. Zwar sind Schule und Gesundheitsversorgung in Nicaragua wieder kostenfrei, doch zugleich ist die Regierung massiven Vorwürfen der Korruption und Machtkonzentration ausgesetzt. Und auch der außenpolitische Kurswechsel stößt in der Bevölkerung auf gemischte Resonanz.
Einige Monate nachdem Daniel Ortega sein Amt als nicaraguanischer Präsident aufgenommen hat, gibt eine ganze Reihe positiver Initiativen. Doch das nicaraguanische Präsidentenpaar schafft sich auch viel Kritik durch eine autoritäre, von Intransparenz geprägte Amtsführung. Man spricht von dem Präsidentenpaar, da Ortegas Ehefrau Rosario Murillo viel Macht und Einfluss in der Regierung hat. Sie ist unter anderem Chefin des Rates für Bürgerbeteiligung und Kommunikation, einer der umstrittenen Räte, die nach Angaben der Regierung zur partizipativen Demokratie führen sollen. KritikerInnen fürchten hingegen, dass die sandinistisch dominierten Räte die Macht des Parlaments einschränken und zu noch mehr Machtkonzentration bei der Parteispitze führen.
Denn während der Präsident weiterhin offiziell den Slogan „El Pueblo Presidente" (Das Volk Präsident) verkündet, konzentriert sich die eigentliche Macht beim Präsidentenehepaar selbst. So müssen beispielsweise die Medienkommunikation der MinisterInnen und sämtliche Reisen durch Rosario Murillo genehmigt werden. Was die Minister darüber denken ist nicht bekannt. Dass bereits fünf Minister in den ersten Monaten entlassen wurden, lässt ebenfalls deutlich werden, dass Abweichungen vom Kurs des Präsidenten nicht geduldet werden. Besonders im Bereich Kultur scheint der Präsident kein gutes Händchen zu haben. Hier wurden bereits zwei Ministerinnen entlassen. Margine Gutieérrez hatte den Präsidenten dafür kritisiert Orginalmanuskripte Ruben Darios an Hugo Chávez verschenkt zu haben. Die danach eingesetzte Emilia Torres wurde inzwischen durch den Maler Luis Morales erzetzt. Es beginne eine neue Arbeitsphase meinte die ehemalige Ministerin und es handele sich nicht um die von den Medien vermutete Tragödie. Auch die Direktorin des Instiduts für ländliche Entwicklung Maria Auxiliadora Briones wurde wegen Unregelmäßigkeiten entlassen. Genaueres ist nicht bekannt. Die ebenfalls entlassene Ministerin für Umwelt und Naturressourcen Amanda Lorío bezeichnete der Präsident als Frau mit guten Absichten. Grund für die Entlassung war, dass in den Räumlichkeiten des Ministeriums Naturheilkunde Untersuchungen durchgeführt wurden, wobei eine Untersuchung zwischen 3,50 Euro und 6,50 Euro kostete. Die erste entlassene Ministein war die Familienministerin Glenda Ramírez Noguera. Der Grund für die Entlassung ist nicht bekannt. Man geht davon aus, dass die Schwägerin Bayardo Arces einem Machtkampf zwischen dem Wirtschaftsberater Ortegas und der First Lady Rosario Murrillo zum Opfer gefallen ist. Fazit: Teils waren gab es verständliche Gründe für die Entlassungen, in anderen Fällen waren es interne Machtkämpfe oder Kritik am Präsidenten, die den Ministerinnen zum Verhängnis wurde. Immer wieder kommt auch die Frage auf, warum bisher nur Frauen von den Entlassungen bedroht sind. Merkwürdig ist auch, dass die Regierung in Sachen Korruption einmal hart durchgreift aber gleichzeitig den wegen Korruption zurückgetretenen Ex-Bürgermeister Granadas zum Botschafter in Honduras macht und Gerrardo Miranda, der tief in illegale Landgeschäfte in Tourismusgebieten verstrickt ist weiterhin Konsul in Costa Rica ist. Der ehemalige Abgeordnete soll einer Investorengruppe angeboten haben gegen die Zahlung von 4 Millionen Dollar Landprobleme der Investoren im Municipio Tola zu lösen. Noch muss gerpüft werden, ob wirklich seine Stimme auf dem vorhandenen Tonband ist. Die Meinungsfreiheit insgesamt ist jedoch nicht bedroht. Man kann nicht sagen, dass die Medien von der FSLN dominiert seien, ganz im Gegenteil: Ortega wird scharf und oft kritisiert. Anhänger der Sandinisten weisen auch darauf hin, dass während der Präsidentschaft Enrique Bolanños ein Regierugnskritischer Radiosender geschlossen wurde, ohne dass es dadurch zu einem großen Aufschrei kam. In erster Linie betrifft der Autoritäre Führungsstil des Präsidenten die eigenen Funktionäre. Die Medien beklagen sich in erster Linie über die Intransparenz der Regierung und den Mangel an Information.
Der Präsident erklärte unterdessen, dass er sich die Macht mit seiner Frau teile. Daniel Ortega sieht dadurch die angekündigte Frauenquote von 50 Prozent erfüllt. Für die Frauenbewegung ist dies nur ein schlechter Scherz zumal Rosario Murillo in keinster Weise demokratisch legitemiert ist.
Für Kritik sorgen jedoch auch noch eine ganze Reihe anderer Entscheidungen: So hat Ortegas Beschluss, das Militär seiner engeren direkten Kontrolle zu unterstellen, zu Spekulationen über diktatorische Absichten des Präsidenten geführt. Und die Entscheidung, die FSLN-Parteizentrale zum neuen Regierungssitz umzufunktionieren, nährt Befürchtungen, dass man es zukünftig mit der Trennung zwischen Staat und Partei nicht allzu genau nimmt.
Die nicaraguanische Justiz gilt sowieso als stark sandinistisch dominiert. Und momentan werden Vorwürfe der Korruption und Günstlingswirtschaft innerhalb der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) immer lauter. Im April dieses Jahres erst setzten FSLN und die liberale PLC des Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán gemeinsam Veränderungen zweier Artikel des Strafgesetzbuches durch. Seitdem wird bei „Geldwäschedelikten" unterscheiden nach solchen, die im Zusammenhang mit Drogenhandel stehen und solchen, die dies nicht tun. In letztem Fall liegt das Strafmaß nur noch zwischen fünf und sieben Jahren. Zwar werden die Anstrengungen der neuen Regierung im Kampf gegen den Drogenhandel gelobt. Die neue sandinistische Polizeichefin Aminta Granera, die noch zum Ende der Amtszeit Enrique Bolaños ins Amt kam, wird für ihr hartes Vorgehen gegen den Drogenschmuggel gelobt, der eindeutig erfolgreich ist. Die benannte Gesetzesänderung hat jedoch offensichtlich einen anderen Hintergrund: Ex-Präsident Arnoldo Alemán wurde wegen Korruption und Geldwäsche zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Dezember liegt dieser Richterspruch fünf Jahre zurück – dann wird es möglich sein, das neue Gesetzt rückwirkend anzuwenden und Alemán kann ganz „legal" freikommen.
Kurswechsel in der Außenpolitik
Während Ortega also innenpolitisch an seinem alten Pakt mit Alemán festhält, hat sich der außenpolitische Kurs des Landes unter der FSLN-Führung stark geändert. Schon einen Tag nach seinem Wahlsieg erklärte Ortega den Beitritt zur ALBA. Eine Reihe von Kooperationsabkommen wurden mit Kuba und Venezuela geschlossen, Venezuela hat bereits mit der Lieferung von kostengünstigem Öl begonnen, neue Energiekraftwerke konnten installiert und somit die Zahl der Stromausfälle stark gesenkt werden. Kuba hilft im Gesundheitssystem und beim Kampf gegen den Analphabetismus. Venezuela versprach den Bau von Raffinerien und einer Aluminiumfabrik. Die Entscheidungen Ortegas in Richtung einer starken Annäherung an Venezuela, Kuba und Bolivien scheinen sich auszuzahlen. Kritik der bürgerlichen Opposition war hierbei zu erwarten; und auch dass man sich bei den USA nicht beliebt machen würde.
Gleichzeitig ist die Frage berechtigt, ob die neue Regierung nicht ohne Grund Befürchtungen über ihren außenpolitischen Kurs geweckt hat: Ausgerechnet der umstrittene iranische Präsident Ahmed Ahmadinejad war einer der ersten Staatsgäste Ortegas. Mitte Juni reiste Ortega selbst in den Iran. In einem Statement bezeichnete der Präsident die lybischen Revolutionsräte als beispielhaft für eine partizipative Demokratie und zu den Feierlichkeiten zum Geburtstag des nicaraguanischen Nationalhelden Augusto Cesar Sandino wurde ausgerechnet der nordkoreanische Botschafter eingeladen.
Kontinuität in vielen Bereichen
Doch obwohl es in manchen Diskursen den Anschein erwecken möchte, die Regierung Ortega ist keine revolutionäre Regierung. In vielen Politikbereichen gibt es Kontinuität zu verzeichnen. So geht der Haushaltsplan dieses Jahres noch auf die Regierung Bolaños zurück und die Regierung wird die bereits ratifizierten Freihandelsabkommen einhalten, darunter auch die DR-CAFTA mit den zentralamerikanischen Staaten, den USA und der dominikanischen Republik. Auch der nationale Entwicklungsplan die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde bereits von der Regierung Bolaños erarbeitet, die Regierung Ortega nahm nur wenige Änderungen an dem neoliberalen Papier vor. Die Inlandsschulden, von denen ein großer Teil auf undurchsichtige Machenschaften bei der Bankenkrise 2000/01 zurückgeht werden erstmal weiter zurückgezahlt, obwohl noch nicht einmal ihre Rechtmäßigkeit geklärt ist. Der Schaden für den Fiskus wird von der Coordinadora Civil auf über 500 Millionen US-Dollar beziffert.
KritikerInnen halten die Kapitalismus- und Imperialismuskritik des Präsidenten unter anderem deshalb für reine Rhetorik. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Coordinadora Civil kritisieren, dass die Regierung hinter geschlossenen Türen mit dem IWF verhandeln will. Dennoch bedeutet bereits die Änderung der Tonlage gegenüber dem IWF ein Schritt in Richtung mehr politische Souveränität Nicaraguas: Innerhalb von fünf Jahren möchte man sich vom IWF befreien. Schon jetzt halten einige Ökonomen wie Adolfo Acevedo Vogl ein IWF- Programm nicht mehr für unbedingt notwendig. Nicaragua hat ein stabiles Finanzsystem, durch die Schuldenerlasse niedrige Auslandsschulden und die Wirtschaft wächst zwischen 4 und 5 Prozent. Doch viele Geberländer, darunter auch Deutschland, die den Haushalt Nicaraguas unterstützen koppeln ihre Hilfe an die Existenz eines Abkommens mit dem IWF.
Die sozialen Akzente Daniel Ortegas
Im Vorfeld der IWF-Verhandlungen machte Daniel Ortega bei einer Rede vor LehrerInnen deutlich, dass sich die neue Regierung ihre Lohnpolitik nicht vom IWF wird vorschreiben lasse. Ziel dieser Bemerkung war es wohl auch, die Gemüter der LehrerInnen zu beruhigen, die wochenlang für höhere Löhne gestreikt hatten, während die Regierung stur geblieben war. Da war es ein für viele Menschen wichtiges Signal, dass der Präsident sein eigenes Gehalt von rund 10.000 US-Dollar auf 3.200 senkte. Und auch einige andere Veränderungen, die gleich nach Amtsantritt von der Regierung durchgesetzt wurden, kommen bei großen Teilen der Bevölkerung gut an: Die öffentliche Bildung ist wieder für alle kostenfrei und auch "freiwillige" Einschulungsgebühren wurden verboten, die Krankenhäuser arbeiten gratis und setzen dabei auf Generika, der Buspreis in Managua wurde von 3 auf 2,50 Córdoba gesenkt.
Bei ihrem Programm „Hambre Cero" (Null Hunger) verfolgt die Regierung eine nicht auf dem Verteilen von Almosen basierende produktive Sozialpolitik, die auch bei der Befreiung von den entwicklungsfeindlichen Zwängen des IWF helfen soll. Zehn Millionen US-Dollar sind im Haushalt für das Programm vorgesehen, bei dem trächtige Kühe, Schweine, Ferkel und Geflügel an besonders arme Bauernfamilien übergeben werden sollen. Mittelfristig will die Regierung dadurch die Lebensmittelimporte und damit das Außenhandelsdefizit erheblich verringern. Bei der Durchführung hofft die Regierung auf die Kooperationsbereitschaft von Nichtregierungsorganisationen (NRO), die bereits in den Gemeinden arbeiten. Der produktive Ansatz wird auch durch die Gründung einer Filiale der venezolanischen Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (Bandes) deutlich, die ab Juni besonders günstige Kleinkredite mit nur zwei Prozent Zinsen an landwirtschaftliche Kooperativen ausgeben wird. Mit ihren 27 Millionen US-Dollar Startkapital ist die Bank aus Venezuela ein viel versprechender Schritt in Richtung des Abbaus ökonomischer Schranken der Eigeninitiative im Agrarsektor. José de Jesús Bermúdez, der bei der Regierung für die Umsetzung der Freihandelsverträge zuständig ist, meint jedoch, dass die Kredite aus Venezuela keineswegs ausreichen, um die landwirtschaftliche Produktion im Land wirklich anzukurbeln. Dazu brauche man eine staatliche Entwicklungsbank.
Abtreibungsverbot bleibt bestehen
Eine progressive linke Politik im Sinne einer Verbesserung der sozialen Lage der armen Bevölkerungsschichten führt Ortega trotz der genannten Initiativen jedoch nicht. Der Pakt mit dem erzkonservativen Kardinal Obando y Bravo besteht weiter und das totale Abtreibungsverbot, dem auch die sandinistischen Abgeordneten im vergangenen Herbst zugestimmt haben, wird nicht – wie im Vorfeld gemunkelt - aufgehoben. Frauenrechtlerinnen sind aufgebracht, dass gerade der „Präsident der Armen" an dem Gesetz festhält, „das arme Frauen dem Tod ausliefert", wie Vertreterinnen des Movimiento Autonomo de Mujeres anklagen. Vor allem sein weiterhin stark religiös geprägter Diskurs lässt misstrauisch werden. So kündigte Ortega in seiner Rede zum 1. Mai an, sich innerhalb von fünf Jahren von „brutalen Kapitalismus" des IWF zu befreien, um direkt im Anschluss daran dafür zu danken, dass die jüngsten Entwicklungen in Lateinamerika in erster Linie ein „großes Wunders Gottes" seien.
Eine klare Bilanz des ersten halben Jahres der neuen nicaraguanischen Regierung lässt sich also nicht wirklich ziehen – bei einer Bestandsaufnahme der bisher von Ortega umgesetzten Maßnahmen zeichnen sich widersprüchliche Schritte in verschiedene Richtungen ab.
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