24 April 2007

Sozialversicherung Barrio Christo Rey

Die Sozialversicherung im Barrio Christo Rey heißt Don Raúl
Der Pferdewagenfahrer
Von Timm B. Schützhofer

Ich mache seit einem halben Jahr meinen „Anderen Dienst im Ausland" (ADiA), in Rivas, einer Kleinstadt im Süden von Nicaragua. Der ADiA ist dem Zivildienst gleichgestellt. Meine ADiA-Arbeit leiste ich in einem Gartenprojekt des Vereins „Para Nicaragua" („Für Nicaragua"), in das 22 Familien ihre Hoffnungen setzen. Heute ist Sonntag, also habe ich frei.

Don Raul
Stolz auf seine Spendenquittungen - Don Raúl
Foto: NRhZ-Archiv


Mit meinem Fahrrad biege ich von der Hauptstraße links ab, in Richtung des Badeorts San Jorge und sehe schon von weitem die rot-schwarze Fahne im Barrio Christo Rey. Hier sitzt Don Raúl vor seinem einfachen Haus im Vorgarten, und seine Frau verkauft hier Frescos und Früchte, um etwas dazuzuverdienen. "Tinn, Tim, a la playa", begrüßt mich ihr Enkel Edito, denn heute soll es mit dem Pferdewagen an den Strand des Nicaraguasees gehen. Für die 10 Kilometer bis zum See brauchen wir eine Stunde und haben dann einen schönen Strand mit Blick auf die Vulkaninsel Ometepe fast für uns allein. Reis und Bohnen, Limonade und Chips sind unsere Verpflegung für den Tag.

Mit Don Raúl arbeitet „Para Nicaragua" schon seit etwa zehn Jahren zusammen. Zuletzt konnten wir den Spielplatz im Barrio mit Spendengeldern verbessern. Über 500 Euro haben uns eine Rutsche und zwei Wippen gekostet. Ohne Don Raúl, wäre es weitaus teurer geworden, denn er kennt alle Geschäfte und Werkstätten und ist außerdem ein geschickter Händler. Mit moralischen Appellen und Preisvergleichen gelingt es ihm in der Regel, die Preise noch weiter runter zu drücken. „Aber es ist doch für die Kinder", wirkt er auf die VerkäuferInnen ein.

Spielplatzeinweihung im Barrio
Spielplatzeinweihung im Barrio

Bis der Spielplatz fertig war, dauerte es einige Wochen. Schließlich mussten wir der Werkstatt das Material besorgen und anliefern - alles mit Hilfe von Don Raúls Pferdewagen -, und dann hieß es abwarten, bis alles zusammengeschweißt war. Einfache Katalogbestellungen machen kann man hier in Rivas nicht.

Bei der Einweihung des Spielplatzes wurde mir eine Dankeskarte überreicht. Es waren viele Leute da, und Don Raúl bedankte sich in einer kleinen Rede bei allen, die mitgeholfen hatten: bei den zwölf jungen Männern, die die Löcher ausgruben und beim Einbetonieren der Spielgeräte halfen, bei den Spendern aus dem Barrio, die Süßigkeiten, Limonada und Torte gespendet haben und natürlich bei den Spendern aus Deutschland.

Don Raúl ist in ganz Rivas bekannt und überzeugter Sandinist. Daniel Ortega hängt eingerahmt an der Wohnzimmerwand. "Weil Daniel für die Armen ist", erklärt er mir. Mit der Rückkehr von Daniel Ortega an die Macht, so hofft er, werde sich auch das Bildungs- und Gesundheitssystem verbessern. Aber Don Raúl wartet nicht nur auf die Regierung, sondern versucht selbst etwas zu ändern. Für viele Leute hier ist er so etwas wie eine Sozialversicherung.

Rutsche
Ohne Spenden aus Deutschland gäbe es die Rutsche nicht
Fotos:  Timm B. Schützhofer


"Wenn jemand krank ist und Geld für Medikamente oder eine Operation braucht, gehe ich mit einigen Freunden durchs Viertel und sammle Geld ein", sagt er. Manchen Menschen sei es zwar peinlich, um Geld zu bitten, ihm aber nicht, weil er es ja nicht für sich tut. Manche hätten auch kein Vertrauen zueinander. "Deshalb zeige ich immer alle Quittungen, damit niemand sagt, Don Raúl bereichert sich", sagt er. Hilfe bekommt er gelegentlich auch von Venancio Ibarra, der sandinistischen Abgeordneten von Rivas. Doch auch mit dem liberalen Bürgermeister hat er schon zusammengearbeitet. "Das Wichtigste ist doch, die Probleme der Menschen lösen", begründet er das.

Fragt man die Menschen in den ärmsten Straßen des Viertels, an wen sie sich in einer Notlage wenden würden, hört man erstaunlich oft den Namen des "Pferdewagenfahrers", der selbst jeden Tag um 2 Uhr morgens aufsteht, mit seinem Carreton Fleisch vom Schlachthof zum Markt transportiert, um sich und seine Familie über die Runden zu bringen. Die Menschen hier fühlen sich von den Politikern schon lange vergessen. Ihre Wellblechdächer sind undicht, alle haben hier im letzten Jahr Hungerzeiten durchgemacht, vertrauen sie uns an.

Para Nicaragua wird auch weiter mit Don Raúl zusammenarbeiten, weil wir sicher sein können, dass die Preise, die wir über ihn für Material und Transporte bezahlen, angemessen sind, und dass unsere Spenden durch seine Vermittlung auch den wirklich Bedürftigen zukommen. Wenn Sie unser Projekt unterstützen wollen, helfen Sie uns mit einer Spende an „Para Nicaragua", Konto 84875, Sparkasse Offenbach, BLZ 50550020, Stichwort: Gartenprojekt



Timm B. Schützhofers Arbeit für „Para Nicaragua" findet im Rahmen der Landwirtschaftshochschule Escuela Internacional de Agricultura y Ganadería (E.I.A.G.) und des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Coordinadora Civil (CC) statt, in dem mehr als 350 soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen sind. Bei der CC ist er besonders für eine Kampagne gegen die IWF-Auflagen für Nicaragua aktiv.
Weitere Informationen über Para Nicaragua www.paranicaragua.de und www.rivas-nicaragua.blogspot.comhttp://www.nicaragua-forum.de/06/iwf-accion.htm


Der Andere Dienst im Ausland (ADiA) ist ein sozialer Dienst und als Wehrersatzdienst anerkannt, kann also anstelle eines regulären Zivildienstes abgeleistet werden

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