28 Oktober 2006

Artikel in der Linkszeitung

Von den Auflagen des IWF und ihren bösen Folgen PDF Drucken E-Mail
Mittwoch, 25. Oktober 2006
Wie neoliberale Politik versagt:
Nicaraguas Wirtschaft am Boden


Von unserem Korrespondenten Timm B. Schützhofer

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Grafik: Wikipedia
Managua (ppa). Nicaraguas Wirtschaft müsste eigentlich stark wachsen. Immerhin hat man gemacht, was die internationalen Finanzinstitutionen geraten haben. Die Sozialausgaben sind gering, die Einkommensschere ist groß, die Steuern niedrig - in einigen Sonderwirtschaftszonen zahlen die meist taiwanesischen Textilfabrikanten gar keine Steuern mehr - und privatisiert wurde auch kräftig in den vergangenen sechzehn Jahren: Zuerst die Banken, später die Energieerzeugung, und in der Regierungszeit Arnoldo Alemáns wurde schließlich auch die Energieversorgung an den spanischen Multi Union Fenosa verkauft. Nicaragua müsste ein Musterland der Marktwirtschaft sein und hohe Wachstumsraten aufweisen. Tut es aber nicht. Oft scheint es, als würden die Anreizsysteme des Marktes von vielen Nicaraguanern schlicht ignoriert. Im Jahr 2005 war die Wachstumsrate der Wirtschaft nur im krisengeschüttelten Haiti niedriger als in Nicaragua und zudem wird nun täglich für mehrere Stunden der Strom abgeschaltet.

Auch die Zölle wurden abgebaut und Freihandelsverträge abgeschlossen. Die Sozialausgaben pro Kopf betrugen Anfang der neunziger Jahre noch rund 104 Prozent der Summe, die Bolivien für Soziales aufwendet, und immerhin 69 Prozent der Sozialausgaben von Honduras. In den Jahren 2002/03 betrugen die Sozialausgaben pro Kopf nur noch rund 50 Prozent der Ausgaben Boliviens und 54 Prozent der Sozialausgaben von Honduras, wobei beide Länder ein niedrigeres Pro -Kopf -Einkommen als Nicaragua haben.

Das Steuer- und Abgabensystem in Nicaragua begünstigt zudem das reichste Fünftel der Bevölkerung, das nach Steuern und Abgaben ein prozentual größeres Stück des Kuchens abbekommt als vorher.

Insbesondere die Stromversorgung ist zu einem Problem geworden. Jeden Tag wächst die Verärgerung über den spanischen Konzern Union Fenosa und über die Politiker, die der Willkür des Stromversorgers scheinbar hilflos gegenüberstehen. Hier und da wird gegen den Stromkonzern demonstriert, dessen Preise deutlich über dem mittelamerikanischen Durchschnitt liegen. Meist wird jedoch mit Sarkasmus reagiert, wenn wieder der Strom für Stunden wegbleibt.

Mit Sprüchen wie „Lang lebe der Präsident, willkommen in der neuen Ära", machen sich Anhänger der Sandinisten über das Motto des liberalen Präsidenten Enrique Bolaños lustig. „Früher in den achtziger Jahren gab es Stromausfälle wegen des Bürgerkriegs oder wegen der Blockade durch die USA, die schwarze Nacht der Sandinisten haben sie  das genannt, aber heute, heute haben wir die schwarze Nacht des Herrn Bolaños", schimpfte kürzlich eine gute Bekannte.

Vom Erreichen der im Jahr 2000 von 189 Staaten unterzeichneten Millenniumsziele ist Nicaragua weit entfernt. Damals hatte man sich darauf verständigt „alle Männer, Frauen und Kinder bis 2015 aus prekären und inhumanen Lebensumständen und aus extremer Armut zu befreien." Der Hunger soll beseitigt werden, die allgemeine Grundschulbildung garantiert werden, die Gleichstellung der Geschlechter gefördert, die Kindersterblichkeit reduziert, die Seuchenbekämpfung verbessert, die Umwelt nachhaltig geschützt und eine Weltentwicklungsorganisation aufgebaut werden. In Nicaragua gelten heute 27 Prozent der Menschen als unterernährt und rund 45 Prozent müssen  von weniger als einem Dollar am Tag überleben. Die Bildungsausgaben betragen trotz einer extrem jungen Bevölkerung nur 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während Bolivien und Honduras bereits die 7 Prozentmarke erreicht haben. Alles allein die Schuld der nicaraguanischen Regierung?

Nein, meint die Coordinadora Civil ( www.ccer.org.ni/english ), ein Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen und verweist auf die Kreditauflagen des Internationalen Währungsfonds, die Nicaragua aufgezwungen wurden, gegen die sich die nicaraguanische Regierung aber auch nicht wirklich gewehrt hat. Das Hauptaugenmerk richtet der IWF jedoch – ganz im Sinne neoliberaler Wirtschaftspolitik – vor allem auf die Finanzstabilität und lässt dabei soziale Ziele und demokratische Prinzipien außer Acht.

So fordert der IWF Verfassungs-"Reformen", da die derzeitige Verfassung den Landkreisen, den öffentlichen Universitäten und der Justiz finanzielle Autonomie zusichert. Ziel des IWF ist es derweil, sicherzustellen, dass sich alle Institutionen den Regeln der Finanzinstitution unterordnen. Wichtig ist hierbei zu beachten, dass die Inlandsverschuldung in weiten Teilen in der Bankenkrise der Jahre 2000-2001 entstanden ist, in denen vier wichtige Banken pleite gingen. Die Bankenaufsicht übernahm die Kontrolle und verschleuderte das Vermögen der Banken. In Insidergeschäften wurde der Besitz der Banken zu extrem niedrigen Preisen verkauft. Der Schaden des Staates beläuft sich nach Schätzungen der Coordinadora Civil auf rund 580 Millionen US-Dollar.

Als eines der wichtigsten Ziele des IWF sieht die CC den Aufbau eines funktionierenden Marktes mit öffentlichen Schuldverschreibungen, wozu zunächst die zuverlässige Tilgung und Rückzahlung der öffentlichen Kredite durchgesetzt werden muss. Die CC wendet sich gegen diese starke Orientierung an Anlegerinteressen und sieht sich durch Aussagen Joseph Stiglitz' in ihrem Urteil über den IWF bestätigt. Der ehemalige Vizepräsident der Weltbank, Ökonomie- Nobelpreisträger und finanzpolitische Berater der Regierung Clinton, beschreibt den IWF als eine in hohem Maße durch das US- Finanzministerium beeinflusste Organisation, dessen Politik vor allem an den Interessen der Finanzwelt orientiert sei.

Die CC versucht deshalb, die Regierung zu einer Ablehnung der IWF-Auflagen zu bewegen und durch eine Internetkampagne möglichst viele Menschen in den reichen Ländern auf die Folgen der IWF-Politik aufmerksam zu machen. So sollen per Internet möglichst viele Protestmails nach Washington geschickt werden, um eine Flexibilisierung der IWF-Auflagen zu erreichen, damit eine soziale Entwicklung möglich wird und die Ausgaben für Bildung und Gesundheit erhöht werden können. Ganz auf den IWF verzichten könne man allerdings nicht, meinen Vertreter der CC, da auch die Hilfsprogramme der anderen Geberländer an eine Kooperation mit dem IWF gebunden sind.

Info
Weitere Informationen auf der Homepage der
Coordinadora Civil (CC)


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