Barfuß in der Straße der Millionäre- Nicaragua vor den Wahlen 2006
Ausgerechnet in der Straße der Millionäre hat die linksgerichtete FSLN ihre Zentrale für die Provinz Rivas. Die wirklich Reichen leben längst in ihren Haciendas und Fincas außerhalb der Städte oder in eingemauerten Reichenvierteln. Hier in der Straße der Millionäre sieht es aus wie überall sonst in den Stadtzentren Nicaraguas. Überall ist Wahlwerbung zu sehen, überall sind Schlaglöcher, dicke Jeeps und museumsreife Autos, Staub und Müll, Fahradtaxis und Kutschen. Ein Straßenkind läuft barfuss die Straße hinauf. Die Straße der Millionäre ohne Millionäre, wie auch der Fluss des Goldes, der ohne Gold durch Rivas fließt, könnte stellvertretend stehen für den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Wahlversprechen und Realität in Nicaragua. Eine halbe Millionen neue Jobs hat der mitte links Kandidat des Movimiento Renovador Sandinista MRS Edmundo Jarquin versprochen, Daniel Ortega von der Frente Sandinista de la Liberación Nacional FSLN verspricht: Arbeitslosigkeit Null, José Rizo von der PLC verspricht „Zuerst Arbeit für alle“ und der neoliberale Eduardo Montealegre möchte „Möglichkeiten sähen“ und „Mehr Beschäftigung, weniger Armut“ erreichen. So kurz vor den Wahlen stellen sich alle Parteien und Kandidaten als Vertreter der Armen dar, verständlich in einem Land in dem fast 80 Prozent der Bevölkerung als arm gelten und von weniger als 2 Dollars am Tag leben.
Nicaragua ist eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, regiert von einer kleinen Oligarchie in der sich Geld und Macht konzentrieren. Es ist eine kleine, sehr reiche, meist hellhäutige Oberschicht. Eine Oberschicht, die ihre Kinder zum studieren ins Ausland schickt und einen Großteil ihres auf Schweizer Bankkonten hat. Darunter die Pellas, die wohl reichste Familie Mittelamerikas, die Dynastie der Chamorros und andere Familien der Oligarchie, die Montealegres, die Bolanos, die Barrios, Familiennamen die in ganz Nicaragua bekannt sind. Vor und nach der Revolution sind es die gleichen geblieben, in deren Händen sich die wirtschaftliche Macht konzentriert ist und auch die Angehörigen des Somoza Clans versuchen von Miami aus „ihr Eigentum“ zurückzuerhalten.
Auf den ersten Blick ist nichts von Rassismus zu erkennen in Nicaragua. Vielleicht wird sich der ein oder andere Tourist, warum immer noch die Heldenstatuen der Spanier stehen, wo doch dauernd über die bösen Kolonialherren geschimpft wird. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass vier von fünf Präsidentschaftskandidaten völlig europäisch aussehen, obwohl diese Gruppe eine kleine Minderheit darstellt. In Nicaragua ist der Unterschied zwischen Arm und Reich auch für lateinamerikanische Verhältnisse großteil ihres Kapitals auf Schweizer Bankkontos gebunkert hat.
Es wird viel geklagt, über die Misere des Landes. Über die schlechte Situation an den Schulen, die katastrophalen Zustände in den Krankenhäusern und über die ständigen Strom und Wasserausfälle, die meist mehrere Stunden am Tag das Land lahm legen. „Es lebe der Präsident, es lebe der Liberalismus“, lauten die sarkastischen Kommentare der Sandinisten, wenn der spanische Konzern Union Fenosa mal wieder den Strom abgeschaltet hat. Der Fall Fenosa ist ein typisches Beispiesl für eine Privatisierung, die besseren Service zu niedrigeren Preisen bringen sollte, aber das Gegenteil gebracht hat. Immer wieder gibt es Demonstrationen gegen die private Stromgesellschaft, die weitere Subventionen einfordert. Stolz auf ihr Land sind die Nicaraguaner trotz allem, auch der Tatsache zum Trotz, dass wohl mehr als 80 Prozent der jugendlichen das Land verlassen würden, wenn sie könnten. Stolz auf ihre Gastfreundschaft, stolz auf ihre Improvisationskünste und auf ihre Feste, Tänze und Lieder. Oft scheint der Nationalstolz auch eine Trotzreaktion zu sein. „Ich bin Nicaraguaner, na und“, liest man auf vielen T-Shirts, die sich gegen die Diskriminierung nicaraguanischer Gastarbeiter in Costa-Rica richten. „Nicaragua zuerst“, verkündet der Kandidat der Partido Liberal Constitucional PLC José Rizo und Daniel Ortega hing sich die Nationalfahne um, als er vor zehntausenden, vielleicht hunderttausenden, zu den Feierlichkeiten zum Sieg der sandinistischen Revolution über den von den USA unterstützten Diktator Somoza auftrat. Doch alle Einigkeit verkündende Propaganda, alle das Vaterland lobenden Lieder können die tiefen Risse in der nicaraguanischen Gesellschaft nicht verdecken. Unlängst erklärten einige Ex-Contras, man werde im Falle eines Wahlsiegs der FSLN wieder zu den Waffen greifen.
„Ein geschenktes Hemd oder eine Mütze, ersetzen euch weder das Recht auf Bildung für eure Kinder, noch das Recht auf medizinische Versorgung“, erklärt die FSLN Direktkandidatin für das nicaraguanische Parlament Venancia Barrera, während einem Wahlkampfauftritt in einem Rivenser Armenviertel. Doch Geschenke vor den Wahlen, sind in Nicaragua ein übliches Mittel Politik zu betreiben. Don Raúl, einem überzeugten Sandinisten, wurde kürzlich von Vertretern der Alianza Liberal Nicaragüense – Partido Conservador des neoliberalen Montealegres ein neues Zinkdach versprochen, wenn er die Partei wechselt. „Nein, nein, brauchen wir nicht, wenn das alte Dach nicht mehr hält und wir kein Geld haben, dann schlafen wir lieber unter Bananenblättern als Geschenke von euch anzunehmen“, schlug Don Raúl das Angebot aus. Der Wahlkampf in Nicaragua wird mit allen Finessen geführt. In so genannten „Foren zur Versöhnung“ verkündet der FSLN Generalsekretär und Präsidentschaftskandidat Daniel Ortega wöchentlich den Übertritt von Funktionären anderer Parteien zum Wahlbündnis der FSLN. Der letzte Große Coup war der Anschluss Talaveras an das Bündnis, welcher bereits auf Platz drei der nationalen Liste der ALN-PC steht und nicht mehr von der Liste getilgt werden kann und diese auch nicht freiwillig verlasssen möchte. „Wer ALN wählt, wählt die FSLN“, verkündete daraufhin der PLC Sprecher Leonel Teller. Die FSLN habe Verbündete auf der Liste der ALN postiert, um ihren Wahlsieg abzusichern. Aus der US-Botschaft heraus versucht man derweil immer noch die Einheit der liberalen Parteien PLC und ALN-PC wieder herzustellen und hat für den Fall, dass sich die Nicaraguaner in „freien Wahlen“ für den „falschen Kandidaten“, sprich für den Ex- Präsidenten Daniel Ortega entscheiden, schon mal mit scharfen Konsequenzen gedroht. Man ist nervös in Washington, denn Ortega könnte im ersten Wahlgang Präsident werden. Dazu braucht er 35 Prozent der Stimmen und 5 Prozent Vorsprung vor dem zweitplazierten Kandidaten. Um dies zu verhindern hat Botschafter Paul Trivelli schon angekündigt, dass man bei einem Sieg Ortegas die US-Hilfe drastisch einschränken werde und die Europäer und andere Geberländer auffordern wird, dem Beispiel der USA zu folgen. Auch Venezuela wird vorgeworfen, sich in den Wahlkampf einzumischen. Besonders die Vertreter der rechten Parteien, versuchen die Hilfangebote Venezuelas und Kubas als Wahlkampfhilfe für die Sandinisten zu diskreditieren. Als Beispiel dienen hier die Öllieferungen zu vergünstigten Konditionen, die über die meist sandinistischen Rathäuser abgewickelt werden sollen. Ein anderes Beispiel ist das Projekt „Aktion Wunder“, durch das bisher 1500 Nicaraguaner Augenoperationen in Kuba und Venezuela erhalten haben. Von Kubanern und Venezolanern wird derweil immer wieder beteuert, dass es für die Teilnahme an dem Projekt nicht auf das passende Parteibuch ankommen. Man suche nach Bedürftigkeit aus. Die Hilfe aus Kuba und Venezuela hilft den Sandinisten dennoch im Wahlkampf, denn viele haben die Hoffnung, dass eine Regierung der FSLN die Energiekrise durch Venezuelas Hilfe wird lösen können und viele erhoffen sich die Rückkehr der vielen kubanischen Ärzte die zu Zeiten der Revolution im Lande waren.
Anmerkung: Dieser Artikel wurde auch in der Printausgabe des Neuen-Deutschland vom 18.102006 veröffentlicht.
Nicaragua ist eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, regiert von einer kleinen Oligarchie in der sich Geld und Macht konzentrieren. Es ist eine kleine, sehr reiche, meist hellhäutige Oberschicht. Eine Oberschicht, die ihre Kinder zum studieren ins Ausland schickt und einen Großteil ihres auf Schweizer Bankkonten hat. Darunter die Pellas, die wohl reichste Familie Mittelamerikas, die Dynastie der Chamorros und andere Familien der Oligarchie, die Montealegres, die Bolanos, die Barrios, Familiennamen die in ganz Nicaragua bekannt sind. Vor und nach der Revolution sind es die gleichen geblieben, in deren Händen sich die wirtschaftliche Macht konzentriert ist und auch die Angehörigen des Somoza Clans versuchen von Miami aus „ihr Eigentum“ zurückzuerhalten.
Auf den ersten Blick ist nichts von Rassismus zu erkennen in Nicaragua. Vielleicht wird sich der ein oder andere Tourist, warum immer noch die Heldenstatuen der Spanier stehen, wo doch dauernd über die bösen Kolonialherren geschimpft wird. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass vier von fünf Präsidentschaftskandidaten völlig europäisch aussehen, obwohl diese Gruppe eine kleine Minderheit darstellt. In Nicaragua ist der Unterschied zwischen Arm und Reich auch für lateinamerikanische Verhältnisse großteil ihres Kapitals auf Schweizer Bankkontos gebunkert hat.
Es wird viel geklagt, über die Misere des Landes. Über die schlechte Situation an den Schulen, die katastrophalen Zustände in den Krankenhäusern und über die ständigen Strom und Wasserausfälle, die meist mehrere Stunden am Tag das Land lahm legen. „Es lebe der Präsident, es lebe der Liberalismus“, lauten die sarkastischen Kommentare der Sandinisten, wenn der spanische Konzern Union Fenosa mal wieder den Strom abgeschaltet hat. Der Fall Fenosa ist ein typisches Beispiesl für eine Privatisierung, die besseren Service zu niedrigeren Preisen bringen sollte, aber das Gegenteil gebracht hat. Immer wieder gibt es Demonstrationen gegen die private Stromgesellschaft, die weitere Subventionen einfordert. Stolz auf ihr Land sind die Nicaraguaner trotz allem, auch der Tatsache zum Trotz, dass wohl mehr als 80 Prozent der jugendlichen das Land verlassen würden, wenn sie könnten. Stolz auf ihre Gastfreundschaft, stolz auf ihre Improvisationskünste und auf ihre Feste, Tänze und Lieder. Oft scheint der Nationalstolz auch eine Trotzreaktion zu sein. „Ich bin Nicaraguaner, na und“, liest man auf vielen T-Shirts, die sich gegen die Diskriminierung nicaraguanischer Gastarbeiter in Costa-Rica richten. „Nicaragua zuerst“, verkündet der Kandidat der Partido Liberal Constitucional PLC José Rizo und Daniel Ortega hing sich die Nationalfahne um, als er vor zehntausenden, vielleicht hunderttausenden, zu den Feierlichkeiten zum Sieg der sandinistischen Revolution über den von den USA unterstützten Diktator Somoza auftrat. Doch alle Einigkeit verkündende Propaganda, alle das Vaterland lobenden Lieder können die tiefen Risse in der nicaraguanischen Gesellschaft nicht verdecken. Unlängst erklärten einige Ex-Contras, man werde im Falle eines Wahlsiegs der FSLN wieder zu den Waffen greifen.
„Ein geschenktes Hemd oder eine Mütze, ersetzen euch weder das Recht auf Bildung für eure Kinder, noch das Recht auf medizinische Versorgung“, erklärt die FSLN Direktkandidatin für das nicaraguanische Parlament Venancia Barrera, während einem Wahlkampfauftritt in einem Rivenser Armenviertel. Doch Geschenke vor den Wahlen, sind in Nicaragua ein übliches Mittel Politik zu betreiben. Don Raúl, einem überzeugten Sandinisten, wurde kürzlich von Vertretern der Alianza Liberal Nicaragüense – Partido Conservador des neoliberalen Montealegres ein neues Zinkdach versprochen, wenn er die Partei wechselt. „Nein, nein, brauchen wir nicht, wenn das alte Dach nicht mehr hält und wir kein Geld haben, dann schlafen wir lieber unter Bananenblättern als Geschenke von euch anzunehmen“, schlug Don Raúl das Angebot aus. Der Wahlkampf in Nicaragua wird mit allen Finessen geführt. In so genannten „Foren zur Versöhnung“ verkündet der FSLN Generalsekretär und Präsidentschaftskandidat Daniel Ortega wöchentlich den Übertritt von Funktionären anderer Parteien zum Wahlbündnis der FSLN. Der letzte Große Coup war der Anschluss Talaveras an das Bündnis, welcher bereits auf Platz drei der nationalen Liste der ALN-PC steht und nicht mehr von der Liste getilgt werden kann und diese auch nicht freiwillig verlasssen möchte. „Wer ALN wählt, wählt die FSLN“, verkündete daraufhin der PLC Sprecher Leonel Teller. Die FSLN habe Verbündete auf der Liste der ALN postiert, um ihren Wahlsieg abzusichern. Aus der US-Botschaft heraus versucht man derweil immer noch die Einheit der liberalen Parteien PLC und ALN-PC wieder herzustellen und hat für den Fall, dass sich die Nicaraguaner in „freien Wahlen“ für den „falschen Kandidaten“, sprich für den Ex- Präsidenten Daniel Ortega entscheiden, schon mal mit scharfen Konsequenzen gedroht. Man ist nervös in Washington, denn Ortega könnte im ersten Wahlgang Präsident werden. Dazu braucht er 35 Prozent der Stimmen und 5 Prozent Vorsprung vor dem zweitplazierten Kandidaten. Um dies zu verhindern hat Botschafter Paul Trivelli schon angekündigt, dass man bei einem Sieg Ortegas die US-Hilfe drastisch einschränken werde und die Europäer und andere Geberländer auffordern wird, dem Beispiel der USA zu folgen. Auch Venezuela wird vorgeworfen, sich in den Wahlkampf einzumischen. Besonders die Vertreter der rechten Parteien, versuchen die Hilfangebote Venezuelas und Kubas als Wahlkampfhilfe für die Sandinisten zu diskreditieren. Als Beispiel dienen hier die Öllieferungen zu vergünstigten Konditionen, die über die meist sandinistischen Rathäuser abgewickelt werden sollen. Ein anderes Beispiel ist das Projekt „Aktion Wunder“, durch das bisher 1500 Nicaraguaner Augenoperationen in Kuba und Venezuela erhalten haben. Von Kubanern und Venezolanern wird derweil immer wieder beteuert, dass es für die Teilnahme an dem Projekt nicht auf das passende Parteibuch ankommen. Man suche nach Bedürftigkeit aus. Die Hilfe aus Kuba und Venezuela hilft den Sandinisten dennoch im Wahlkampf, denn viele haben die Hoffnung, dass eine Regierung der FSLN die Energiekrise durch Venezuelas Hilfe wird lösen können und viele erhoffen sich die Rückkehr der vielen kubanischen Ärzte die zu Zeiten der Revolution im Lande waren.
Anmerkung: Dieser Artikel wurde auch in der Printausgabe des Neuen-Deutschland vom 18.102006 veröffentlicht.
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