20 September 2006

Artikel im Neuen Deutschland

19.09.06
IWF hält Nicaragua arm
Ziviles Bündnis drängt auf Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik 
 
Von Timm Benjamin Schützhofer 
 
Von der Halbierung der Armut ist Nicaragua weit entfernt.
Foto: Schützhofer
Der Internationale Währungsfonds (IWF) bestimmt in Nicaragua nach wie vor die Grundlinien der Wirtschaftspolitik. Ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, die Coordinadora Civil, versucht dies zu ändern.

Der Gründungsanlass war ein trauriger. 1998 entstand die Coordinadora Civil (CC) als loser Zusammenschluss nicaraguanischer Nichtregierungsorganisationen, um die Katastrophenhilfe nach dem verheerenden Hurrikan »Mitch« besser koordinieren zu können. Der korrupten Regierung des inzwischen unter Hausarrest stehenden Ex-Präsidenten Arnoldo Aléman wollte man zudem eine starke zivilgesellschaftliche Organisation entgegenstellen.
Inzwischen streitet CC für andere Ziele: Mit einer aktuellen Kampagne in den Industrieländern will man westliche Aufmerksamkeit auf die Probleme des Landes lenken, die aus der neoliberalen Politik des regierenden Präsidenten Bolaños, aber auch aus den Auflagen resultierten, die der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Land erteilt hat. Mit der Kampagne will CC den IWF unter Druck setzen, seine Auflagen zu lockern.
Diese nämlich widersprechen nach Ansicht der Organisation den von 189 Staaten unterzeichneten Millenniums-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen und untergrüben zudem Nicaraguas Souveränität. Mit den Millenniumszielen hatte sich die Staatengemeinschaft im Jahr 2000 unter anderem dazu verpflichtet, bis 2015 Armut und Hunger weltweit zu halbieren, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern, Kindersterblichkeit zu reduzieren und allgemeine Grundschulbildung zu garantieren.
Die Kreditauflagen des IWF verlangen dagegen von der nicaraguanischen Regierung, öffentliche Gehälter über Jahre hinweg auf dem gleichen Niveau zu halten. Eventuelle Mehrausgaben im Bildungs- und Gesundheitsbereich soll es nach Ansicht des IWF allenfalls im privaten Sektor geben. Ein neues Bildungsgesetz, nach dem die staatlichen Bildungsausgaben bis zum Jahr 2009 auf insgesamt sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) angehoben werden könnten, will der IWF dagegen abgeschafft sehen.
Die CC weist darauf hin, dass Honduras und Bolivien bereits seit 1999 respektive 2003 sieben Prozent ihres BIP für Bildung ausgeben. Ohne das Bildungsgesetz könnten weder nationale Bildungsziele noch das Milleniumsziel erreicht werden, wonach alle Kinder zumindest die Grundschule abschließen sollen, warnt die Organisation.
Der IWF dagegen fordert »Verfassungsreformen«, da die derzeitige nicaraguanische Verfassung den Landkreisen, öffentlichen Universitäten und der Justiz finanzielle Autonomie gewährt. Nach den Reformen müssten sich dann alle Institutionen den IWF-Regeln unterordnen.
Der Währungsfonds wolle in erster Linie einen funktionierenden Markt mit öffentlichen Schuldverschreibungen aufbauen, erklärt die CC die Strategie der Finanzinstitution. Dazu müsse jedoch zunächst durchgesetzt werden, dass öffentliche Kredite zuverlässig getilgt und zurückgezahlt werden. Die CC wendet sich gegen diese starke Orientierung an Anlegerinteressen und sieht sich durch Aussagen Joseph Stiglitz' in ihrem Urteil über den IWF bestätigt. Der ehemalige Vizepräsident der Weltbank, Ökonomie-Nobelpreisträger und finanzpolitischer Berater der US-Regierung unter Clinton, beschreibt den IWF als eine in hohem Maße durch das US-Finanzministerium beeinflusste Organisation. Die Politik des Finanzministeriums wiederum sei vor allem an den Interessen der Finanzwelt orientiert.
Derzeit ist Nicaragua in jedem Fall weit davon entfernt, die UNO-Millenniumsziele zu erreichen. Viele Nicaraguaner sind Analphabeten, rund 80 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als zwei Dollar am Tag und 27 Prozent gelten als unterernährt. Die meisten Kinder haben nur die sechsjährige Grundschule besucht, viele gehen erst gar nicht zur Schule.
Weitere Informationen: www.ccer.org.ni/english


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